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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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geöffnet. Fred sprang aus der Gondel, Albert stieg vorsichtig hinterher, Alfonsa folgte als Letzte. Sie wurden begrüßt von feuchter Kälte und einem Angestellten der Bergbahn, der den Kopf schüttelte und meinte: »Da hams aba an schlechtn Tog ausgsucht. Heut giabt’s fei ned vui zu sehn.«
    »Seien Sie sich da mal nicht so sicher«, sagte Alfonsa.
     
    Sie verließen das Gebäude und folgten einem breitgetretenen Pfad. Hochnebel versperrte den Blick ins Tal. Was Albert begrüßte. Hellgrün auf einem dunkelgrünen Hinweisschild: SENIORENRESIDENZ ALPENBLICK 0,2   KM.   Fred machte kleinere Schritte als sonst, Alfonsa ging neben ihm, Albert marschierte voraus. Bloß mickrige zweihundert Meter noch! Wie viele er schon auf der Suche nach seiner Mutter zurückgelegthatte. Er dachte an Freds Dachboden und an Hänselbrösel, er dachte an Gold in einer Blechbüchse und an eine schweigende Kassette und an aufgelistete grüne Fahrzeuge, er dachte an Königsdorfer Straßen und Steckbriefe an jeder Haustür, er dachte an Klondis Garten und an den
Hofherr
und an die quadratische Kanalisation, er dachte an Sankt Helena und das Schachbrett aus gebeiztem Buchsbaum und Dartpfeile und Schnürsenkel und Hinterköpfe, er dachte an Tobis Füße und Clemens’ Haus und Gertrudes Wiehern, er dachte an Klondi
(Mütter werden überbewertet, Albert. Meiner Meinung nach kannst du dich glücklich schätzen, ohne eine aufgewachsen zu sein.)
, er dachte an Alfonsa
(Was kannst du anderswo finden, das es nicht auch hier gibt?),
er dachte an Violet
(Du bedeutest dieser Frau nichts. Sonst hättest du längst von ihr gehört. Sie ist nicht dein Problem. Vergiss sie und kümmer dich um dein Leben.),
er dachte an Fred im Flitzer, mit Lexikon, auf dem Friedhof, mit Taucherbrille, in DER TAG, AN DEM DER BUS DIE HALTESTELLE ANGEGRIFFEN HAT, und er dachte an die eine Frau, deren Namen er noch nicht einmal kannte.
    »Mir ist schlecht«, sagte Fred, als sie das Altenheim erreichten. Ein modernes, an ein Hotel erinnerndes Gebäude mit einer schrägen Glasfront, in der sich der Himmel spiegelte.
    »Mir auch«, sagte Albert und deutete auf eine Holzbank aus halbierten Baumstämmen vor dem Eingang. »Sollen wir uns kurz ausruhen?«
    Alfonsa sagte, sie würde vorgehen und an der Rezeption auf sie warten. Schiebetüren aus Glas schlossen sich hinter ihr.
    Erfreulicherweise ging Fred auf Albert ein und ließ sich neben ihm auf die Holzbank fallen. Fred zog den Trachtenhut in seine Stirn und sank in sich zusammen. Alles an ihm deutetenach unten, er wirkte schwach wie noch nie. Albert half ihm, den Rucksack von seinem Rücken zu nehmen, stützte damit seinen Kopf und schloss den Kragen des Ponchos. Binnen Sekunden schien Fred zu schlafen. Seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Einen Augenblick lang ließ Albert seine Hand auf Freds Schulter liegen und spürte die beruhigende Wärme seines Körpers. Und mit einem Mal wurde Albert bewusst, wie still es in seinem Kopf war. Keine Gedanken.
    Als er Fred losließ, fühlte es sich an wie ein Abschied.
     
    Die Luft in der Eingangshalle roch nach Jod. Für Albert schien es drinnen heller zu sein; als würden die Glasscheiben das Tageslicht verstärken. Seine Schritte hallten. Der Empfangsschalter war unbesetzt. Am Stehtisch eines Kiosks beugte sich ein Rentnerpaar in knallblauen Anoraks über eine durchweichte Wanderkarte.
    Alfonsa wartete neben einer weißen Säule. Sie schmunzelte nicht. Albert ging auf sie zu, und bevor er etwas sagen konnte, hob sie die Arme und nahm den schwarzen Schleier ab. Er blieb stehen. Ihr Haar war zu einem französischen Zopf geflochten; am Stirnansatz ergraute es bereits, trotzdem war der Farbton noch immer kräftig. Er leuchtete feuerrot.

TEIL VIII
     

Minas und Annis und Arkadiusz’ und Markus’ und Ludwigs und Freds und Alfonsas und Julius’ Geschichte, 1930   –   1983
     
     
     

Fett, getrocknete Blumen und Bitterkeit
     
    Nathaniel Wickenhäuser, dessen Liebe für mich größer gewesen war als meine für ihn, hatte das Brautkleid seiner Mutter für mich zusammengelegt, vermutlich mit geschlossenen Augen, damit ihn das Weiß nicht blendete. Es hatte gerochen, als wäre Else noch am Leben: Fett, getrocknete Blumen und Bitterkeit. »Ich kann dich nicht verbrennen«, muss er gedacht haben. »Ich kann dich nicht wegwerfen. Aber ich kann dich auch nicht behalten. Also wirst du verschenkt.«
     
    Am nächsten Morgen lag ein Päckchen in einem Autobus auf dem leeren

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