Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
Vom Netzwerk:
sie Albert im Bus begegnet war, habe sie nicht an Liebe auf den ersten Blick geglaubt, weil sie dachte, man könne doch niemanden lieben, den man nicht kennt. »Jetzt denke ich da anders«, sagte sie. »Vielleicht kann man nur Menschen richtig lieben, die man nicht kennt. Wenn man sie erst einmal kennt, wird alles kompliziert.« Für den Bruchteil einer Sekunde zitterte ihre Stimme. »Sie werden   … anders.«
    »Ich weiß«, sagte Fred sehr bestimmt; ein klares Zeichen dafür, dass er ihr nicht hatte folgen können.
    Alberts Augenlider bewegten sich. Solche Gespräche waren ziemlich genau das Gegenteil von dem, was man hören wollte, wenn man kurz davor stand, nach neunzehn Jahren die eigene Mutter kennenzulernen. Seine Mutter. Was für ein Wort! Es sog alle anderen Gedanken aus seinem Kopf. Albert versuchte, sich zu beruhigen, indem er stumm den
Hobbit
rezitierte. Biser zu der Stelle mit dem Drachen kam, der im Berg Erebor lebte. Wenn er wenigstens hätte schlafen können! Es war anstrengender, als er gedacht hatte, die Augen zwei Stunden lang geschlossen zu halten. Sein linkes Bein war eingeschlafen, aber er hielt es für geschickter, seine Position nicht zu verändern, damit seine Tarnung nicht aufflog. Deswegen griff er auch nicht nach dem Schminkklappspiegel. Die Wiesenblumen rochen nach zu viel Wiese. Der Gurt schnitt ihm in den Hals. Und Violet flötete: »Albert, Lieber, bist du wach?«
     
    Mutter. Mutter. Mutter.
     
    Knirschender Kies. Albert blinzelte: die Talstation der Bergbahn, endlich. Sie parkten nahe dem Haupteingang, vor dem sich so wenige Besucher tummelten wie Wolken am Himmel. Trotzdem war es herbstlich-schattig. Albert stieg aus und streckte seine Glieder; er zeigte Fred, wo es zu den Toiletten ging, und sah ihm dann nach, wie er davonstapfte, den zerknitterten Poncho über die Schulter geworfen, den Trachtenhut schief auf dem Kopf.
    Alfonsa sagte: »Ich lass euch besser allein«, und verschwand mit einem bedeutsamen Nicken in der Talstation. Ihr schwarzer Schleier, ohne den er sie noch nie gesehen hatte, verhinderte wieder einmal, dass er ihren Hinterkopf lesen konnte.
    Violet stellte Freds Rucksack und Alberts Tasche vor ihnen ab. Warf den Kofferraum zu. Sie zückte ihren Geldbeutel, hielt ihm einen Fünfzig-Euro-Schein hin. »Für die Bergbahn.«
    »Kommst du nicht mit?«
    »Machen wir’s uns nicht schwerer, als es ist.«
    »Wovon redest du?«
    »Kapierst du nicht sonst immer alles?«
    Sie steckte das Geld in seine Hosentasche.
    »Du   …?«
    »Genau.«
    »Warum hast du uns dann hergebracht?«
    »Hätte ich euch auf die Straße setzen sollen?«
    »Du hast bloß so getan?«
    »Haben wir das nicht beide?« Sie sah ihn an, traurig und konzentriert, und da wurde ihm bewusst, so sah man jemanden nur an, wenn man ihn zum letzten Mal ansah. »Ich habe es versucht, ich wollte uns nicht einfach aufgeben. Aber ich weiß jetzt, ich liebe dich nicht, ich liebe das, was wir mal hatten. Und ich glaube, so geht’s dir auch. Als du mich gestern Abend umarmt hast, hab ich gespürt, wie schwer das für dich war.«
    Albert wollte etwas sagen, aber sie war noch nicht fertig.
    »Ich dachte, das mit uns ist bloß eine Frage der Zeit, ich dachte, wenn ich dir Raum gebe und die Kamera weglasse, hätten wir eine Chance. Und für eine kurze Weile lief es doch auch ganz gut, oder? Nur«, sagte sie, »nur sind Menschen eben nicht dafür geschaffen, lange und glücklich zusammen zu sein. Entweder das eine oder das andere.« Violet lächelte müde. »Mach dir jedenfalls keine Sorgen. Wegen mir. Ich komme klar. Ist ja nicht das Ende der Dinge. Ist es nicht.«
    Es war lächerlich, aber ein Teil von ihm wünschte sich, sie hätte das alles nicht gesagt. Er wollte sich nicht hier und nicht jetzt verabschieden, ihm ging das zu schnell, er suchte nach einem Einwand, einer Lösung, irgendetwas musste her, das ihm Zeit verschaffen konnte, und er verwarf ein Wort nach dem anderen. Angst. Mutter. Erwartung. Neugier. Gefahr. Fred. Belastung. Tod. Verwirrung. Alleinsein. Angst. Keins passte richtig, nicht einmal eine Kombination drückte aus, was erwollte: dass sie blieb, und dass sie ging, und dass er sie und sie ihn liebte, gleichermaßen, und dass sie sich auf etwas freuen konnten, und dass sie einander nie begegnet wären.
    »Albert, eine Sache noch   – und das hat nichts mit uns zu tun: Wenn ihr wollt, dann bringe ich euch zurück. Aber nur, wenn wir sofort losfahren.«
    »Bevor«   – seine Stimme war fast weg, er

Weitere Kostenlose Bücher