Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)
die vor dem Küchenfenster kauerte. Der Schweinezüchter Markus. In seinen Augen erkannte sie, sagte sie mir, und das beunruhigte mich zu hören, denselben Blick, mit dem ich Anni ansah. Mit seiner rechten Hand umklammerte er ein Jagdmesser. Mina versteckte sich hinter einer Schubkarre. Markus hob den Arm – dabei schien sich sein Haar an einer Stelle von allein zu bewegen – und ritzte etwas in das Küchenfenster. Als er fertig war, betrachtete er zufrieden das Ergebnis. Dann lief er davon. Mina schlich zu dem Fenster und studierte es. Markus hatte zwei einander gleichende Zeichen hinterlassen, von denen das erste in der Spitze zusammenlief; und obwohl Mina nicht lesen konnte, spürte sie, dass dies nicht bloß ein paar Kratzer waren.
»Das sind bloß ein paar Kratzer«, sagte ich zu ihr, als wir uns am nächsten Tag in der Scheune trafen und Mina von ihrer Beobachtung erzählte.
»Wieso warst du überhaupt nachts bei unserem Haus?«
»Ich habe wenig Geduld.«
»Du kannst nicht einfach nachts zu uns kommen. Was werden die Leute denken?«
»Ich weiß nicht, was die Leute denken.«
»Das habe ich anders gemeint.«
»Julius, wann heiraten wir?«
»Wir heiraten bald«, sagte ich und tauchte flink unter den Rock ihres Kleides. »Sehr bald.«
Ein menschlicher Anker
Sehr bald ließ weitere Monate auf sich warten, in denen das Brautkleid zunächst um ihre Hüfte spannte und dann nicht mehr über ihren Bauch passte, sodass sie es zu unseren Treffen in der Scheune nur noch mitbrachte, um uns beide damit zuzudecken. Eines Nachts, als Mina schlief, legte ich eine Hand auf die Stelle oberhalb ihres nach außen gewölbten Bauchnabels und flüsterte:
»Kannst du mich hören? Erkennst du meine Stimme? Magst du sie? Da drinnen klingt sie bestimmt ganz anders.
Manchmal würde ich am liebsten zu dir rein kriechen.
Du solltest dir Zeit lassen. Du wirst nie wieder so sicher sein wie da drinnen. Hier draußen gibt es keinen sicheren Ort. Die Menschen sagen deswegen, sie fühlen sich sicher, weil sie nie sicher sein können. Ein kleines Wesen wie du fühlt vielleicht noch nichts. Aber es ist sicher.
Weißt du, dass auch der Bauch deiner Tante wächst? Es macht mir Angst. Anni ist noch nicht bereit. Seitdem ich zurück bin, denke ich immerzu an das Feuer. Ich bin ihr nicht böse. Sie wusste nicht, was sie tat. Aber … aber sie weiß auch
nicht, was sie getan hat. Ihre Erinnerung ist falsch. Es war kein Unfall, es war ganz sicher kein Funkenflug.
Soll ich ihr die Wahrheit sagen? Soll ich ihr erzählen, wie ich sie mit der Fackel gefunden habe, vor unserem brennenden Haus? Darf man so etwas überhaupt erzählen? Und wenn ja, wie?
Manchmal würde ich am liebsten zu dir reinkriechen.«
Ich nahm Mina noch ein Versprechen ab: geheim zu halten, wer der Vater ihres Kindes war. Keinen Vater zu haben, dachte ich, wäre immer noch besser, als mich zum Vater zu haben, einen Bestatter, der niemanden liebte außer seiner Schwester; der es nicht fertig brachte, ihr die Wahrheit über ihre Vergangenheit zu verraten; der in ihrem Haus wohnte und sich jede Nacht Wachs in die Ohren stopfte, weil er befürchtete, er könnte sie und ihren Polen hören, und das würde ihn an Jasfe und Josfer erinnern; der auf dem Segendorfer Friedhof schuftete und mehr Gräber aushob, als benötigt wurden, um seinen Frust abzuarbeiten; der aus demselben Grund mit einer ihn anbetenden Klöble schlief, die fest damit rechnete, dass er ihr bald einen Heiratsantrag machen würde; der, wenn er aus Träumen hochschreckte, in denen das Haus in Flammen stand, als Erstes seinen Ellbogen berührte.
Die Geburt meines Sohnes erlebte ich bloß akustisch mit. Minas durchdringende Schreie hielten alle Kunden von der Bäckerei fern. In meinem Zimmer in Annis Haus, das sich in Hörweite befand, stiefelte ich auf und ab und blieb erst stehen, als Minas Geschrei verstummte und vom Nachwuchsgeplärr abgelöst wurde. Bei Einbruch der Nacht schlich ich zu Minas Fenster, die es grinsend öffnete und mir den Kleinen
reichte. Ich fragte Mina, ob ich ein paar Schritte mit meinem Sohn machen dürfe, worauf sie lächelte und eifrig nickte, als hätte ich ihr einen Heiratsantrag gemacht. Gegen den Uhrzeigersinn spazierte ich mit meinem Sohn um die Bäckerei.
»Du bist pünktlich gewesen. Du wirst einmal ein sehr pünktlicher Mensch werden. Im Gegenteil zu deinem Cousin oder deiner Cousine. Wen wundert’s. Polen sind nicht gerade für ihre Pünktlichkeit
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