Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)
»Gern.«
Nun umarmte mich auch noch der zukünftige Schwager. »Herzlich willkommen!«
Für meinen Geschmack war das etwas zu viel des Guten. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich fragte Anni, ob ich sie allein sprechen könne, worauf sie Arkadiusz bittend ansah. Er nickte sofort. Und obwohl mir das nur recht sein konnte, hätte ich mir etwas weniger Verständnis seinerseits gewünscht. Dieser Mann schien makellos.
Wenig später rannten Anni und ich, wie früher, um die Wette auf den Wolfshügel. Ich ließ sie gewinnen. Wir legten uns in den Schatten der Eiche und sie erzählte mir, wie sie Arkadiusz kennengelernt hatte. In den darauffolgenden Wochen sollten wir uns noch oft dort treffen, um über die vergangenen sechs Jahre zu reden.
»Du willst das wirklich machen«, sagte ich.
»Was meinst du?«
»Heiraten.«
Ihr amüsiertes Lachen raubte mir alle Hoffnung, dass ich Zweifel in ihr nähren könnte. Sie hätte nichts hinzufügen müssen, aber sie nahm meine Hand und sagte: »Arkadiusz ist der schönste und beste Mann, den es gibt. Ich habe noch nie jemanden so geliebt.«
Als Anni sich aufmachte, letzte Vorbereitungen für die Hochzeit zu tätigen, suchte ich nach Ablenkung. Ich brauchte Ablenkung. Sofort. Leider war die Wirtin keine Option mehr. Allerdings hatte ich schon eine Idee, wohin ich gehen konnte.
Mina stellte sich als sensationell heraus. Eine vielfache Witwe hätte sich nicht besser geschlagen. In der Scheune halfen wir einander explodieren. Die ganze Zeit über trug Mina das Brautkleid. Ich hatte es ihr geschenkt. Über ihrer gebräunten Haut wirkte das Weiß dunkler, beinahe grau, was ideal zu Minas Haar passte, das inzwischen mehr grau als blond war.
»Wann heiraten wir?«, fragte sie, rollte sich auf mich und beendete damit die Verschnaufpause.
»Zuerst ist meine Schwester dran«, sagte ich.
»Aber ich habe ja schon ein Kleid! Wir müssen auch heiraten!«
»Das werden wir.«
»Du bist zurück nach Segendorf gekommen, weil du mich heiraten willst?«
»Wieso sollte ich sonst hier sein? Du musst das Kleid gut aufheben. Damit ich dich darin zum Traualtar führen kann.«
»Ich hebe das Kleid sehr gut auf!«
»Versprichst du mir das?«
»Das verspreche ich«, sagte sie – und explodierte ein weiteres Mal.
Mina nahm Versprechen sehr ernst. Während sich Frauen in ganz Segendorf für Annis und Arkadiusz’ Hochzeit herausputzten – Blutstropfen färbten Wangen rosa, und Moorblumen zierten hochgestecktes Haar –, legte sie ihr Brautkleid ab und zusammen und in eine Schachtel, die sie am sichersten Ort der Welt aufbewahrte: unter ihrem Bett. Kein Staubkorn ließ sie daran kommen. Nach dem Aufstehen und vor dem Abendgebet wischte sie den Deckel sorgfältig sauber. Als das Opferfest bevorstand, sagte sie zu dem Kleid: »Ab heute bist du nicht mehr mein Liebster Besitz.« Und als das Opferfest vorbei war: »Ab heute bist du mein Liebster Besitz.« Manchmal brachte sie mir die Schachtel, als ich längst bei Anni und Arkadiusz eingezogen war, und öffnete für mich den Deckel, um mich an das Weiß zu erinnern, und dann lächelte ich jedes Mal und log, wie sehr ich mich schon auf unsere Hochzeit freue, ich könne es kaum erwarten, aber sie müsse sich noch ein wenig gedulden. Und Mina geduldete sich. Was sich, solange sie viel um die Ohren hatte und ihrer Mutter in der Bäckerei half (im Präparieren einer Brezel hielt sie den Segendorfer Rekord von sieben Sekunden), einfach gestaltete. Abends jedoch, wenn die tägliche Ration Geduld aufgebraucht war und sie an nichts anderes mehr denken konnte als an ihren Zukünftigen, den hübschen Julius Habom, wünschte sie sich nur, einschlafen zu können, frische Geduld aufzuladen, und je mehr sie sich das wünschte, desto wacher fühlte sie sich. Dann gab es keinen anderen Ausweg mehr, als sich das Kleid überzustreifen. Sie floh durch die Segendorfer Nacht und glich dem Geist einer Braut. Vor unserem
Haus blieb sie stehen und näherte sich nicht der Tür, sondern einem Fenster nach dem anderen, bis sie mich entdeckte und mir winkte und mich dabei störte, Anni zu beobachten, die wiederum nur Arkadiusz sah; sie tanzte mit ihm, kitzelte ihn mit den Spitzen ihrer Locken, fütterte ihn mit Himbeermarmelade, küsste ihn, saß auf seinem Schoß, massierte ihm den Nacken, las ihm aus der Bibel vor, hielt seine Hand. Als wäre ich gar nicht da.
In einer dieser Nächte, in denen Mina wieder einmal das Haus umrundete, bemerkte sie eine Gestalt,
Weitere Kostenlose Bücher