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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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sie alles ablehnt, sondern um nach rechts und links zu
gucken und nach einem besseren Leben Ausschau zu halten.
    Das Problem dabei ist, sie sucht so verzweifelt links und rechts, dass sie nicht sieht, wer vor ihr steht.
    Sie hätte sich nicht auf diesen Polen einlassen dürfen. Einer wie Fred wäre uns allemal gelungen.
    Ich hoffe, du spielst nicht mit ihm. Was für ein unnötiger Mensch! Er steht vor dem Leben wie vor einer Tür, von der er weiß, dass man sie öffnen kann, aber nicht, wie.
    Hast du seine Zeichnungen gesehen? Er hat ein talentiertes Händchen, das gebe ich zu, aber   … wer will tote Vögel sehen? Wen interessieren die Augen von Schweinen? Oder die Flügel von Mistfliegen?
    Die Bilder machen deutlich, wie krank er wirklich ist. Anni vernichtet sie mit gutem Recht. Fred sollte Lesen lernen, habe ich ihr geraten. Lesen bedeutet verstehen. Und wer versteht, malt schöner.«

Etwas finden, ohne danach zu suchen
     
    Segendorfs erstes Lexikon wurde von seinem jüngsten Gemeindemitglied an dessen siebtem Geburtstag aufgeschlagen. Das Dickicht der Worte auf den Seiten versetzte Fred einen solchen Schreck, dass er es sofort wieder zuklappte und lieber Arkadiusz auf seinem Rundgang durch die Kanalisation begleitete.
    »Willst du nicht wenigstens ein erstes Wort lernen?«, rief Anni ihnen hinterher.
    »Es ist sein Geburtstag«, antwortete Arkadiusz.
    »Morgen lerne ich zwei erste Wörter!«, versprach Fred.
    Arkadiusz war für die Wartung der unterirdischen Tunnel zuständig, er suchte nach undichten Stellen, kittete Risse, entfernte Schlacke, reinigte Ventile, tötete Ratten und tauchte bei Überflutungen so lange, bis er deren Ursache gefunden hatte   – wer wäre dafür besser geeignet gewesen als ARKADIUSZ DER (EHEMALIGE) VIER-MINUTEN-DREIUNDVIERZIG-SEKUNDEN-MANN? Zudem war der Lärm motorbetriebener Fahrzeuge hier unten angenehm gedämpft, die tröpfelnde Ruhe entspannte ihn wie ein heißes Bad. Anni erzählte mir, oft wanderte er stundenlang die Tunnel entlang und tat, worin er schon immer gut gewesen war: Er wartete. Auf verkehrsberuhigte Nächte. Auf eine Nachricht von seiner Familie, der er nach langer Zeit endlich wieder einen   – von Anni zu Papier gebrachten   – Brief hatte schicken können (dank dem Anschluss ans Straßennetz erreichte nun auch die Deutsche Reichspost Segendorf). Auf die nächste von Freds, wie er fand, brillanten, detailgetreuen Zeichnungen, die ihn, trotz der ungewöhnlichen Motivwahl, mit Stolz erfüllten und von denen er immer eine bei sich trug. Auf eine Eingebung, welche Zutat seinen selbst zubereiteten und mäßig appetitlichen
pierogi
fehlte. Auf ein Ende der Hetztiraden, die aus dem Volksempfänger schwappten, den der Schweinezüchter Markus vorzugsweise bei weit geöffnetem Fenster einschaltete. Auf Annis Tanz. Auf Annis Gesang. Auf Annis Nicken.
    »Mama sagt, du warst früher ein Taucher«, sagte Fred mit näselnder Stimme, weil er sich gegen den Gestank in der Kanalisation Weidenkätzchen in die Nasenlöcher gesteckt hatte. »Das sind Menschen, die ganz lange unter Wasser sind.«
    »Ich war berühmt!«
    »Warst du auch in einem Meer?«
    »Einmal bin ich bis zum Grund der Ostsee getaucht. Ohne Hilfe!«
    »Wo ist der Ostsee?«
    »Im Norden.«
    »Gehst du auch mit mir tauchen?«
    »Natürlich! Wir werden alle sieben Weltmeere durchtauchen!«
    Fred grinste. »Das ist viel.«
    »Aber vorher«, sagte Arkadiusz, deutete auf ein Metallgitter am Ende eines Kanals, in dem sich Pflanzenreste verfangen hatten, und drückte Fred eine Bürste in die Hand, »vorher müssen wir dafür sorgen, dass Segendorf sauber bleibt.«
     
    Arkadiusz’ wartete lange genug   – oder zu lange. Am 25.   August 1939, eine Woche vor dem Einmarsch deutscher Truppen in seine Heimat, stieß er in der Kanalisation auf einen eingestürzten Tunnel. Anstatt den Schaden umgehend zu melden, untersuchte er ihn. Vielleicht, weil er ein Funkeln zwischen den Steinen entdeckt hatte. Arkadiusz, stelle ich mir vor, stieg über Geröll, räumte mit beiden Händen Erdbrocken zur Seite, hob einen für einen Stein schweren Stein auf, spuckte drauf und wischte   – obwohl ihm bewusst war, dass er sich damit das missbilligende Kopfschütteln seiner Frau einhandeln würde   – den schmierigen Dreck mit seinem Hemd ab. Er lächelte zufrieden, während auf seiner Schulter, von ihm unbemerkt, ein Wassertropfen zerplatzte. Arkadiusz hatte gewiss kaum glauben können, dass er es nun, ohne danach zu suchen,

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