Meister der Assassinen
oder betranken sich fast durchgehend. Immerhin war es noch zu keinen Auseinandersetzungen mit ihren Gastgebern gekommen.
Und wenn es so ist, dass wir sterben?, dachte er. Es kommt, wie es kommt. Bis dahin mache ich weiter und nutze die Zeit, die mir bleibt.
Dennoch wünschte Jack sich, er könnte etwas mehr tun. Er war nun ein Iolair, stand aber loyal zu seinen Leuten. Vielleicht könnte er sie mit ein paar Flugstunden aufheitern? Er konnte Deochar, seinen Anführer, bestimmt dazu überreden. Zu Beginn waren sie alle euphorisch und mit Kinderaugen herumgelaufen, warum sollte das nicht wieder so sein?
Er machte sich auf den Weg, um mit Deochar zu reden. Anais, Karen, Reggie und Emma waren bestimmt dabei und zogen dadurch die anderen mit.
Ich muss gegen Rimmzahns defätistischen Einfluss vorgehen. Sonst geschieht eine Katastrophe ...
»Wir müssen wieder Vertrauen zueinander gewinnen«, sagte Norbert Rimmzahn in die lauschende Runde. Seine Stimme klang sonor und ging geradezu unter die Haut. Es tat gut, sie zu hören, und es tat gut, seine Worte zu hören.
»Wir dürfen uns nicht von der Angst verleiten lassen, meine Freunde. Sie ist nicht nur höchst ansteckend, sie schafft eine Atmosphäre, die alles vergiftet, was wir jemals aufgebaut und woran wir jemals geglaubt haben. Natürlich habt ihr alle Angst, natürlich misstraut ihr jedem anderen, wenn die Option besteht, dass einer von uns der Schattenlord ist. Aber die Frage ist: Muss das so sein? Und ist das denn überhaupt sicher? Genauso gut kann er uns längst verlassen und sich bei den Iolair eingenistet haben. Und was wissen wir denn über den Schattenlord außer dem, was Laura berichtet hat? Hat ihn sonst noch jemand außer ihr gesehen oder gehört?«
Sandra saß still da und hörte zu. Warum wetterten Cedric und Simon und vor allem Laura nur so gegen Norbert? Was er sagte, hatte Hand und Fuß. Und dann machte Luca sich auch noch wichtig, als ob er kapieren würde, worum es ging. Bisher hatte Sandra nichts gehört, was nicht stimmte, nur hätte sie ihre Gedanken nicht so in zusammenhängende Worte kleiden können. Die sie irgendwie sofort trösteten, anstatt weiter zu ängstigen.
»Ich bezweifle nicht seine Existenz«, fuhr Rimmzahn fort. »Dann würde ich Laura als Lügnerin bezeichnen, und das wäre töricht. Ebenso töricht wäre es, anzunehmen, dass Cedric und Simon und die anderen drei Sucher sich irren. Jedoch bin ich mir nicht sicher hinsichtlich dessen, was über den Schattenlord verbreitet wurde. Ist er wirklich der finstere Buhmann, als der er hingestellt wird? Oder wird er nicht eher ... verkannt?
Darüber, meine lieben Freunde, möchte ich morgen um dieselbe Zeit mit euch sprechen. Für heute bitte ich euch, denkt über meine Worte nach. Horcht in euch und versucht vor allem, auf den anderen wieder zuzugehen. Nur durch Vertrauen kann diese Gemeinschaft bestehen bleiben. Wir müssen jetzt mehr denn je Zusammenhalten. Lernt, auf euer Herz zu achten! Es wird euch sagen, wer Freund oder Feind ist.«
Viele nickten und murmelten etwas. Allgemeines Scharren von Schuhen auf dem körnigen Boden erklang, die Zuhörer richteten sich auf und verstreuten sich, bereits über das Gehörte nachdenkend.
Auch Sandra stand auf, aber sie ging auf Norbert zu. Maurice, der gerade von der anderen Seite auf ihn zusteuerte, hielt inne und legte den Kopf leicht schief. Sandra beachtete ihn nicht weiter; wenn er fernblieb, umso besser.
Ein wenig verlegen blieb sie vor Norbert stehen, trat von einem Fuß auf den anderen. »Norbert, ich ...«
Er hielt in seiner Beschäftigung inne - ordnete Papiere? Gab es hier etwa Stift und Papier? - und sah auf. »Was kann ich für dich tun, Sandra?«, fragte er freundlich.
Sandra hatte die Worte ihres Vaters im Ohr. Norbert Rimmzahn, der ewige Nörgler, der Besserwisser, der Pedant und Störenfried. Kein gutes Haar hatte er an ihm gelassen, als er seine Tochter vor dem Schweizer gewarnt hatte. »Du hast durch ihn beinahe dein Leben verloren!«, war sein schlagkräftigstes Argument gewesen, doch er sparte auch ansonsten nicht mit Kommentaren. Rimmzahn war unhöflich, egoistisch, eitel ... All das konnte Sandra so gar nicht feststellen. Sie gab Norbert auch nicht die Schuld an ihrem damaligen Zustand, als sie sich beinahe aufgelöst hatte, im Gegenteil. Er hatte versucht zu helfen, und sie war krank gewesen. In einer Weise krank, die kein Mensch heilen konnte - aber die beiden Elfen, Cedric und Simon, denen sie dafür ewig
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