Meister der Assassinen
dankbar sein würde. Aber deshalb war Rimmzahn nicht schuld am gesamten Unglück, das der Gruppe zustieß.
Alles, was Sandra feststellen konnte, war Folgendes: Norbert nahm sie ernst, für voll, als wäre sie erwachsen, so redete er mit ihr. Er war höflich, er hörte zu.
Hatte das ihr Vater in der letzten Zeit getan? Nein. Wenn sie überhaupt miteinander redeten, dann nur, um zu streiten. Tu dies, tu das, tu jenes. Und nicht mal Luca hielt zu ihr. Alle hatten sie nur »gute« Ratschläge oder machten ihr Vorschriften, aber fragte sie mal jemand, wie es ihr ging? Ob sie vielleicht Hilfe brauchte oder einfach nur ein Ohr, das zuhörte? Wo war ihr Vater die ganze Zeit? Wenn er nicht den Patriarchen spielte, war er irgendwo unterwegs, um Trübsal zu blasen. Natürlich vermisste Sandra ihre Mutter schmerzlich, aber deswegen war sie nicht unsichtbar! Sie war hier, an diesem Ort, aber nahm das irgendeiner bewusst wahr? Sie musste schließlich ebenfalls mit dem Verlust fertig werden, genauso wie Papa und Luca! Aber von ihr wurde erwartet, sich »erwachsen« und »vernünftig« zu verhalten. Ach, auf einmal! Sie sollte sich so verhalten, wurde aber nicht so behandelt. Das passte nicht zusammen!
»Also eigentlich«, setzte Sandra an und druckste ein bisschen herum, »hatte ich gedacht, ich könnte dir ... vielleicht ... helfen.«
Er zog eine interessierte Miene. »Inwiefern?«
»Na ja, irgendwas für dich tun, so in der Art ... dich unterstützen ... bei deiner Arbeit helfen ...«
»Wirklich?«, sagte Norbert erfreut. »Aber ja, allerdings kannst du mir helfen! Wie wär’s, du wirst meine Assistentin! Dann könnten wir alles gemeinsam vorbereiten und viel professioneller machen. Ich könnte dir meine Gedanken diktieren, und du schreibst sie nieder, und dann reden wir darüber. Willst du das tun?«
Sandra nickte heftig. »Ja, gern! Dann ... dann wäre ich endlich mal nützlich.«
»Wer sagt das denn? So ein Unsinn, natürlich bist du immer nützlich. Aber ich kann dich wirklich gut brauchen ... Am besten kommst du gleich mit, und wir besprechen das Ganze. Musst du deinem Vater Bescheid geben?«
»Wieso? Verlassen wir die Siedlung?«
»Nein, ich dachte nur ...«
»Ich kann selbst entscheiden. Außerdem entferne ich mich nicht von hier. Und ihm ist es sowieso egal, was ich mache.«
»Nun, er sollte sich freuen, dass seine Tochter eine solche Initiative zeigt und aktiv wird. Also dann, auf zur Arbeit!« Er hakte sich bei der nur wenige Zentimeter kleineren Sandra unter und zog sie mit sich. An Maurice vorbei, und Sandra sah dessen Miene. Er sah aus wie ein vor die Tür gesetzter, geprügelter Hund.
6
Hinter
der Mauer
L aura sah immer noch den längst entschwundenen Reitern nach, als die Cyria Rani bereits viele Stunden weitergeflogen war, Richtung Westen, wohingegen Zoes Weg nach Norden führte. Nur einige Stunden weit, dann erreichte die Freundin Dar Anuin und musste sich der gefährlichsten Situation ihres Lebens stellen - freiwillig. Sie stand auf der Todesliste der Priester, zusammen mit dem Prinzen. Der oberste Priester würde niemals zulassen, dass sein Sohn und die Gesandte so einfach zurückkehrten, als wäre nichts geschehen. Die Fronten waren klar, und wenn die Stadt ohnehin schon »brannte«, war der Aufstand in vollem Gange.
»Alles Gute, Zoe«, murmelte sie. »Mach die Schweinepriester fertig!«
Sie dachte sorgenvoll an den Vulkan, wie die Lage dort sein mochte. Und ... an Barend Fokke und sein schauerliches Schiff. Hoffentlich war er nicht bereits auf der Suche nach ihnen ...
»Falls du darüber nachgrübelst, ob du nicht doch mitgehen solltest: Die Antwort lautet nein«, erklang Milts Stimme, und sie spürte seinen Arm um ihre Taille.
»Hab ich gar nicht«, erwiderte sie.
»Umso besser. Das ist Elfenangelegenheit. Sollen die zwei Cops endlich mal ihre Qualitäten beweisen.«
»Ganz deiner Meinung.« Nidi kam herbeigesprungen und kletterte auf Lauras Schulter. »Ich geh da um keinen Preis runter. Da geh ich lieber zu Fokke zurück.«
Dabei sah es bisher recht gut aus. Die Wüste hatte sich endlich zurückgezogen, und sie überflogen weites grünes Land. Richtung Süden hinunter musste es nach Morgenröte gehen, in der Ferne schimmerte der weiße Gipfel des Olymp.
»Mauer voraus!«, rief der Ausguck, und alle versammelten sich am Bug.
Man musste die Augen nicht anstrengen, um zu erkennen, dass sie das richtige Gebiet anflogen. Die Schebecke hatte ordentlich an Höhe verloren, und so
Weitere Kostenlose Bücher