Meister der Assassinen
Magen. Der Boden sackte unter ihnen weg, und bald waren sie nur noch von violettblauem Himmel umgeben. In weiter Ferne zogen riesige Flugwesen ihre Kreise, ein Schwarm winziger Punkte war Richtung Osten unterwegs.
Kaum hatten sie die von Arun geforderte Höhe erreicht, direkt über der Mauer, da ging es schon wie bei der Achterbahn wieder hurtig nach unten. Arun brüllte Befehle und gab eine kurze Warnung. Der gerade noch himmelwärts gerichtete Bug kippte ohne weitere Vorbereitung schlagartig nach unten. Nun mussten die beiden Winde ordentlich gegensteuern, damit die Segel nicht zusammenklappten und das Schiff nicht haltlos abtrudelte.
Nidi und Finn lachten und amüsierten sich königlich, Laura und Milt hingegen brauchten sich nicht gegenseitig anzuschauen, um zu sehen, wie grün sie im Gesicht waren. Sie klammerten sich hektisch mit verkrampften Fingern fest, ihre Füße baumelten in der Luft, weil es senkrecht und rasend schnell gen Boden ging.
Bei Milt brach die Flugangst wieder aus, auch wenn er nicht in einem engen Metallkasten eingesperrt war. Bisher hatte ihm nichts etwas ausgemacht - nicht die Plattform auf dem Titanendactylen, nicht die normal dahinsegelnde Cyria Rani - aber dieses Manöver war ihm deutlich erkenntlich zu viel. Er schwitzte, seine Hände zitterten, und er kniff fest die Augen zu. »Ich fliege lieber selbst!«, rief er.
»Ja, aber nur einmal!«, gackerte Nidi.
Abwärts waren die Kurven zwar nicht mehr so eng, dafür umso steiler, und die beiden verloren immer wieder den Halt unter den Füßen.
Arun hatte schließlich ein Einsehen, als er bemerkte, dass nicht alle sein Vergnügen teilten. Er gab den Befehl zum Kreuzen, rief die Winde zurück und sperrte sie wieder in die Flaschen. Die Schebecke ging nun mit leicht geblähten Segeln in die Waagerechte und schaukelte bedeutend gemütlicher im leichten Sinkflug dahin.
Laura erholte sich sofort wieder, Milt wagte zuerst nur, ein Lid zu heben, und atmete dann aus. »Ist es geschafft?«, flüsterte er.
Der Korsar schlug ihm lachend auf die Schulter. »Das war nun wirklich eine leichte Übung. Aber lass dir gesagt sein: Zum Luftmatrosen taugst du nicht!«
»War dieser Absturz denn überhaupt nötig?«
»Nein. Aber das macht Spaß!«
»Nicht jedem. Ich kann nicht mal mit der Bahn rückwärtsfahren.«
Laura gab Milt einen Kuss auf die Wange. »Auf den Bahamas gibt es wohl nicht viele Vergnügungsparks?«
»Nein, das war meine erste Achterbahn.« Milt zeigte ein schiefes Lächeln und sah peinlich berührt aus. »Könnte ich mich jetzt bitte einfach in Luft auflösen, und wir vergessen das Ganze?«
»Weiß gar nicht, wovon du redest.« Arun kicherte. »Dann lasst uns mal sehen, was uns hier erwartet.«
Laura hätte sich nach Nidis Schauergeschichten eine verwüstete Ödnis vorgestellt oder ein karges Land mit einem finsteren Vulkan, der unentwegt Rauch und Lava spuckte. Horden von Zombies, die übers Land wandelten, verfolgt von Ghulen, und dazu Nachtmahre und was es sonst noch gab an scheußlichen Kreaturen. Und Sklaven in Ketten, die mit Peitschen vorangetrieben wurden. Alles hätte sie erwartet.
Aber doch nicht das!
»Fehlen nur noch die rosa Kaninchen«, murmelte sie.
Eine abwechslungsreiche Landschaft breitete sich unter ihnen aus. Steppen und Wälder, liebliche Auen, zahlreiche Gewässer mit Bächen und Flüssen, Äckern sowie Weideland, auf dem friedlich jede Menge Nutztiere grasten. Sie erinnerten entfernt an Kühe, Schweine, Schafe und Ziegen, nur waren sie viel größer und bizarrer, dazu zumeist unbehaart. Auch pferdeartige Wesen gab es und riesige Laufvögel, ähnlich jenen, auf denen Cwym und Bathú in der Wüste zu den Felsen gekommen waren.
Bei den Weiden und Äckern fanden sich vereinzelte Höfe, aber auch kleine Siedlungen.
»Das sieht überaus idyllisch aus«, stellte Finn fest. »Ich glaube nicht, dass es die da drin stört, eingesperrt zu sein.«
»Würde mich nicht stören«, meinte Milt. »Die da unten leben sorgenfrei und ohne störende Einflüsse von außen.«
»Langweilig!«, äußerte Arun. »Stillstand! Rückschritt! Degeneration!«
Laura zog die Brauen zusammen. »Was stört dich denn am Frieden? Am Paradies?«
»Das ist es ja, meine Liebe. Ich weiß, dass ihr Menschen euch immer danach sehnt, nur frage ich mich, wieso ihr euch dann immer die Köpfe einschlagt? Weil nämlich genau das passiert, wenn es einfach gar keine Sorgen mehr gibt: Langeweile. Zu viel Zeit, nachzudenken. Sich hineinzusteigern.
Weitere Kostenlose Bücher