Meister der Assassinen
Einerseits ging sie ihren Weg, andererseits ließ sie sich bei Widerstand schnell einschüchtern und suchte die Harmonie. Selbst ihren Eltern wich sie aus, wo es ging. Als die Vorwürfe nicht aufhörten, brach sie den Kontakt einfach ganz ab, ohne sich jemals mit ihnen auseinandergesetzt zu haben. Ein ordentliches Gespräch hatten sie nie geführt. Aber wozu auch, ihre Eltern änderten sich nicht, sie dachten nie darüber nach, was Laura für ein Mensch war. Anstatt sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, erhielt sie Vorhaltungen, welche Chancen sie vergeben hatte und welche Enttäuschung sie war.
Dass Laura Schwierigkeiten hatte, jemanden zu finden, dem sie vertrauen konnte, war verständlich. Sie rasselte von einer fatalen Beziehung in die nächste, und mit dem allgemeinen Freundeskreis oder in der WG war es nicht viel besser.
Bis sie Zoe getroffen hatte. Zoe, die genauso allein war wie sie, genauso ausgenutzt und betrogen wurde und die als Kind von ihren Eltern verprügelt worden war, wenn sie nicht spurte.
Laura atmete tief durch. Allmählich machte sich Erschöpfung in ihr breit, es war ein sehr langer, aufwühlender Tag gewesen, der ihr auch körperlich einiges abverlangt hatte. Immerhin war ihre Kleidung wieder trocken. Ihre Mutter würde einen Anfall bekommen, sie so zu sehen.
Sie müsste das Ende des Stollens bald erreicht haben. Dann stand ihr im Prinzip zwar das Schwerste noch bevor - den Dolch zu erlangen -, aber diesmal würde sie hartnäckig sein. Es gab keine Tricks, keinen Diebstahl, nur die Auseinandersetzung mit dem geheimnisvollen »Meister vom Berge«, der hoffentlich einen gesunden Elfen- oder Menschenverstand besaß.
Alles war möglich, sobald sie die Festung betrat, aber Laura glaubte nicht daran, dass ihr Leben in Gefahr war. Das würde nicht zu einem strengen Orden passen. Sie wurde vielleicht umgehend hinausgeworfen und musste zusehen, dass sie über die Mauer wieder hineinkletterte. Aber umbringen? Nein. Das würde nicht geschehen.
»Dass wird ssich ssseigen«, zischte eine Stimme durch den Stollen in einem eisigen Nachhall.
Laura blieb stehen. Der Schatten links an der Wand war monströs angewachsen. Und jetzt löste er sich davon, und ehe sie auch nur mit dem Lid zucken konnte, hatte er sie angesprungen.
Schatten hin oder her, dieses Monster war sehr materiell. Es warf Laura um, drückte sie nieder mit seinem Gewicht und grinste sie aus formlosen, ständig wechselnden Konturen an.
»Duu bisst leichtssinnig«, fauchte das Schattenmonster sie an. »Sso lange schon warte ich darauf ...«
»Nein«, keuchte Laura. »Du bist es nicht. Keiner der Schatten, die mich in meiner Welt verfolgt haben. Du kannst mir nicht hierher gefolgt sein. Du bist etwas anderes.« Sie wand sich unter seinem Griff, versuchte die Knie anzuziehen, um ihn wegzuschleudern. Doch er quetschte sie noch fester nieder, bis sie Sterne vor den Augen sah.
»Ich glaube nicht an dich«, fuhr sie mit erstickter Stimme fort. »Das bilde ich mir nur ein, du bist nichts als ein Ausdruck meiner Angst, meiner Erinnerungen, einfach von allem, was aus mir hervorbricht. Genau wie bei Naburo ...«
»Nein, dasss bin ich nicht«, zischte das Monster, und eine nasse, labbrige Zunge leckte über ihre Wangen und hinterließ eine Speichelspur. »Ich bin wirklich, keine Ausssgeburt deinerrr Fantasssie.«
Laura nahm das wörtlich. »Also bist du die Wirklichkeit?«
»Ich werde dich jetsss aussslöschen. Du bisst sssu weit gegangen«, grollte das Monster.
Laura war für einen Augenblick geneigt, nachzugeben, aber dann wäre wieder alles genauso wie früher. Und es würde ihr nichts geschehen, darauf vertraute sie nach wie vor. Dem Meister konnte nicht daran gelegen sein, alle umzubringen, die bei ihm vorsprechen wollten. Das geschah nur mit den Unbelehrbaren, die nicht auf dem Weg bleiben wollten, weil er sich absichern musste. Schließlich hatte er auch Feinde. Und vor allem wäre es der blanke Hohn, jetzt kurz vor dem Ziel alles zu verlieren.
Es war die letzte Prüfung, sonst nichts.
Und deshalb ...
»Nein, das wirst du nicht!«, sagte sie mit ihrer schärfsten Stimme und war erstaunt, wie energisch sie klingen konnte. Obwohl es ihr halb den Brustkorb zerquetschte. »Ich bin genau da, wo ich sein soll. Ich habe den Schritt gewagt, und jetzt gehe ich ganz bestimmt nicht mehr zurück. Die Schwelle ist überschritten. Ich bin nicht mehr Donalda, die Pechvogelin! Ich bin Laura, und ich weiß, was ich will. Ich bin hier, um meinen
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