Meister der Stimmen: Roman (German Edition)
zärtlich über den glatten Stein gleiten und schickte den Moosgeist so in einen leichten Schlaf. Sobald Alliana ruhig war, schob Miranda den Ring wieder auf seinen Platz an ihrem rechten kleinen Finger.
»Was tut Ihr jetzt?«, fragte eine eifrige Stimme hinter ihr. »Habt Ihr etwas gefunden?« Mirandas Lächeln verblasste. Das Mädchen hatte sie fast vergessen.
Natürlich konnte man sie in Mellinor, einem Land, das die lange und stolze Tradition pflegte, Magier zu hassen, nicht allein durch die Burg streifen lassen. Sobald deutlich geworden war, dass sie ihr nicht die ganze Nacht folgen konnten, hatten die Meister von Mellinor darauf bestanden, ihr einen ›Führer‹ an die Seite zu stellen, der ›der Einfachheit halber‹ immer bei ihr blieb. Unglücklicherweise hatten sich, aufgrund derselben langen und stolzen Tradition, nur wenige Freiwillige für den Posten des Magierbeobachters gefunden. Schließlich hatten die Meister ihn der einzigen Person übertragen, die ihn offenbar wirklich haben wollte, einer allzu neugierigen Bibliothekarin namens Marion.
Marion spähte mit strahlendem Gesicht durch den Türrahmen. »Seid Ihr fertig damit, Moos wachsen zu lassen?«
»In gewisser Weise ja.« Miranda lehnte sich an den kühlen Stein.
Das Mädchen sah sich in der Zelle um und wurde mit jedem Moment aufgeregter. »Erstaunlich! Das Moos ist verschwunden! War es ein Zauber?«
Miranda verdrehte die Augen. Ein Zauber? Schon seit der Zeit vor dem ersten Geisterhof sprach niemand mehr von Zaubern, wenn es um Magie ging. »Das Moos ist mein dienender Geist«, sagte sie, hob eine Hand und bewegte die Finger, so dass die Ringe im Fackelschein glitzerten. »Sie war sehr hilfreich, aber unglücklicherweise sind wir der Antwort auf die Frage, wo Eli den König hingebracht hat, nicht nähergekommen. Ich würde gerne …«
»Hat der Geist einen Zauber gesprochen?« Das Mädchen wirkte hoffnungsfroh.
Miranda drückte eine Hand an die Stirn. »Marion, das wäre alles viel einfacher, wenn du keine Fragen stellen würdest.«
Marion zog ein langes Gesicht, und sofort fühlte Miranda sich schrecklich. Du hinterlässt wirklich einen tollen ersten Eindruck, dachte sie. Das ist die einzige Person im gesamten Königreich, die dich nicht für den Inbegriff allen Übels hält, und du schreist sie an.
»Schau, Marion«, sagte Miranda sanft, »was weißt du über Magier?«
»Eigentlich nicht viel«, sagte Marion kleinlaut und zog an ihrem langen, formlosen Tunikakleid, das Miranda inzwischen als die Bibliothekarsuniform von Mellinor identifiziert hatte. »Alle Bücher über Magier wurden vor Jahrhunderten zerstört.« Sie griff verstohlen in eine ihrer großen Taschen und zog ein schmales, ledergebundenes Buch hervor. »Das war alles, was ich finden konnte. Ich habe es quasi auswendig gelernt.«
Das Buch war uralt. Sein Ledereinband war rissig und abgegriffen und an mehreren Stellen ganz abgefallen. Miranda nahm es vorsichtig entgegen und unterdrückte ein Stöhnen, als sie den Titel las: Morticime Kants Die Reisen eines Zauberers. Natürlich war das einzige Buch, das der mellinorischen Säuberungsaktion entgangen war, das hochtrabendste und fehlerhafteste Machwerk über Magie, das je Buchseiten beschmutzt hatte. Wenn man wollte, dass jemand eine falsche Vorstellung von Magie bekam, dann war das genau das Buch, das man ihm in die Hand drückte.
Aus kranker Neugier schlug sie es auf und fing an, wahllos einen Absatz zu lesen, der mit dem Titel überschrieben war: ›Über Kleidung und Auftreten von Zauberern‹.
»Ein Zauberer kann leicht aufgrund seiner reinen Gegenwart von seinen Mitmenschen unterschieden werden. Oft haftet ihm der Duft alter Magie an, gewonnen durch seine Jahre über den Zauberkesseln, in denen er seine schrecklichen magischen Tränke braut. Wenn man nicht nahe genug herantreten will, um den Duft zu erhaschen (denn Obacht, dies könnte den Wagemutigen unter seinen Bann zwingen), kann man ihn auch aus sicherer Entfernung erkennen, da alle Zauberer, durch Eid gebunden, die Zeichen ihres Ranges tragen. Hier zu nennen sind die allgegenwärtige, fließende Staatsrobe, die glitzernden Ringe der Bezauberung und die hohe, spitze Kappe eines Meisters der Zauberei. Weiterhin …«
Angewidert klappte Miranda das Buch zu. Wer auch immer die Bibliothek gesäubert hatte, dieses Buch hatte er wahrscheinlich absichtlich zurückgelassen.
»Nun«, sagte sie und gab Marion das Buch zurück, »das erklärt eine Menge.«
Das
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