Meister der Stimmen: Roman (German Edition)
wieder da, wo wir angefangen haben. Folge mir.«
Sie ging zu der Menschenmenge und fing ohne große Umstände an, sich mit den Ellbogen ihren Weg zu bahnen. Marion drängte sich hinter ihr entlang und entschuldigte sich überschwenglich bei den wütenden Leuten, die Miranda zurückließ.
»Ich hätte sie auch bitten können, zur Seite zu treten«, schnaufte sie, als sie sich zwischen zwei Wachen hindurchdrängte. »Trotz der momentanen Umstände seid Ihr immer noch ein Gast der Meister.«
Miranda schüttelte den Kopf. »Soweit ich Mellinor bis jetzt kennengelernt habe, könnten wir genauso gut ›Feuer‹ schreien wie zu verkünden, dass ich eine Spiritistin bin. Ich will keine Massenpanik verursachen.«
Die Menge wurde immer dichter, je näher sie den Türen des Thronsaals kamen, und Miranda und Marion kamen nur noch mühevoll und langsam voran.
»Das ist lächerlich«, keuchte Marion und drängte sich neben einer Gruppe Wachen an Mirandas Schulter. »Wir kommen da nie durch.«
Miranda verzog nachdenklich den Mund, dann lächelte sie. »Lass mich etwas versuchen.«
Sie schloss die Augen und sackte leicht in sich zusammen, als sie ihre Muskeln entspannte. Mit geübter Mühelosigkeit zog sie sich in die Tiefe ihres Geistes zurück, zu der Quelle der Macht, von der ihre Geister nippten – dem tiefen Brunnen, den sie normalerweise fest verschlossen hielt. Sie atmete tief durch und lockerte ihren Griff ein kleines bisschen. Der Effekt war sofort spürbar.
Die Menge um sie herum erschauderte und trat zur Seite. Es war nur ein einziger Schritt, aber es verschaffte Marion und ihr genug Platz, um sich bis zu den goldenen Türen durchzudrängen. Sobald sie die Türschwelle des Thronsaals erreicht hatten, verschloss Miranda die Quelle ihrer Macht wieder. Die Leute hinter ihnen zitterten noch einen Moment, dann drängten sie sich wieder aneinander, als wäre nichts geschehen.
Marion sah mit weit aufgerissenen Augen über die Schulter zurück. »Was habt Ihr getan?«
»Ich habe meinen Geist geöffnet«, erklärte Miranda.
»Euren …« Sie riss die Augen noch weiter auf, falls das überhaupt möglich war.
Miranda hatte eigentlich nicht mehr sagen wollen, aber nach dieser beeindruckten Reaktion musste sie einfach ein wenig angeben. »Den Geist zu öffnen enthüllt die Stärke der Macht eines Magiers«, flüsterte sie. »Erinnerst du dich, wie ich dir erklärt habe, dass die wahre Macht eines Magiers in der Kontrolle liegt? Das hängt damit zusammen, dass alle Magier mit mehr Geist, mehr Energie geboren werden als normale Menschen. Allerdings wird diese Energie meist schon direkt nach der Geburt durch die Selbstverteidigungsmechanismen des Kindes weggeschlossen. Den Geist ständig weit offen zu lassen, macht verletzlich. Geister werden von Macht angezogen, verstehst du, und nicht alle Geister meinen es gut mit einem. Durch Übung können Magier lernen, ihren Geist zu öffnen, manchmal ein wenig, manchmal ganz, je nachdem, wie viel Macht sie zeigen müssen. Das ist sehr wichtig, wenn man andere Geister auf sich aufmerksam machen will und beginnt, mit ihnen zu arbeiten.«
»Aber«, Marion runzelte die Stirn und wirkte vollkommen verwirrt, »Ihr habt doch gesagt, Ihr könntet keine Menschen kontrollieren?«
»Nun«, Miranda lächelte selbstgefällig, »was ich gerade getan habe, war eher ein Trick als echte Magie. Normale Menschen können den Geist eines Magiers nicht fühlen, nicht mal, wenn er vollkommen geöffnet ist – zumindest nicht bewusst. Allerdings habe ich herausgefunden, dass selbst die Unempfindlichsten unter ihnen bei genau der richtigen Menge Macht einen leichten Druck empfinden, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, und dann treten sie zur Seite.«
»Also«, Marion schüttelte sich, »dieses Gefühl gerade eben, als wäre jemand über mein Grab gelaufen, das wart Ihr?«
»Ja«, sagte Miranda mit einem Nicken. »Ein wenig eigenwillig, aber unglaublich praktisch.«
»Muss es wohl sein«, gab Marion zurück. »Was würde passieren, wenn Ihr Euren Geist ganz öffnet?«
»Sagen wir einfach, es wäre für alle Beteiligten sehr unangenehm.« Miranda lächelte. »Komm«, sie packte die Hand der Bibliothekarin und zog sie mit sich durch die letzte Reihe, die sie vom Thronsaal trennte, »gehen wir es an. Wir haben so schon zu viel Zeit verschwendet.« Sie überschlug kurz die Zeit und verzog das Gesicht. Der Brief war inzwischen wahrscheinlich in tiefem Schlaf versunken. Trotzdem, jeder Hinweis, noch
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