Meister der Stimmen: Roman (German Edition)
schnaubte Gin und setzte sich in die Mitte des Stallhofes.
Miranda nickte und eilte die Stufen hinauf. Marion folgte ihr auf dem Fuße.
Die Empfangshalle war ruhig und leer. Miranda runzelte die Stirn und sah sich nach den üblichen Gruppen aus Dienern und Beamten um, entdeckte aber kein Zeichen von ihnen. Sie ging schneller und hastete über den Marmorboden zu dem Torbogen, der zum Thronsaal führte. Was sie sah, als sie um die Ecke bog, ließ sie abrupt innehalten. Die gesamte Dienerschaft der Burg Allaze, vom Stalljungen bis zu den Kammerzofen, befand sich dicht gedrängt in dem breiten Flur, der zum Thronsaal führte. Sie standen Schulter an Schulter und füllten den Gang von einem Ende bis zum anderen.
Miranda starrte verwirrt auf die Masse aus Rücken, die ihnen den Weg versperrte. »In Ordnung«, seufzte sie und ließ sich gegen die Wand sinken. »Ich gebe auf. Was geht hier vor?«
Marion tippte einem Mann in der Lederschürze eines Schmiedes auf die Schulter, um ihn zu fragen, was los war.
»Haste nich’ gehört?«, meinte der. »Lord Renaud ist zurück.«
Marions Gesicht wurde bleich wie Käse. Sie dankte dem Mann und eilte zu Miranda. »Lord Renaud ist zurück«, flüsterte sie.
»Das habe ich gehört«, sagte Miranda. »Aber lass uns doch für einen Moment davon ausgehen, dass ich so gut wie nichts über dieses Land weiß. Wer ist Lord Renaud?«
»König Henriths älterer Bruder.«
» Älterer Bruder?« Miranda runzelte verwirrt die Stirn. »Ist er ein Bastard oder etwas in der Art?«
»Natürlich nicht!« Marion schien tief gekränkt.
»Aber warum ist dann Henrith König geworden und nicht er?« Bei den Recherchen, die sie über Mellinor angestellt hatte, war sie nirgendwo auf Unregelmäßigkeiten in der Thronfolge gestoßen. Natürlich hatte sie, weil sie unbedingt schneller sein musste als Eli, auch nicht allzu viel Zeit gehabt.
»Lord Renaud hatte den vorrangigen Thronanspruch, aber dann gab es, ähm«, sie warf einen vielsagenden Blick auf Mirandas Ringe, »Probleme.«
»Ich verstehe«, sagte Miranda leise. »Weißt du, in den meisten Königreichen wird es als Segen betrachtet, einen Magier in der königlichen Familie zu haben.« Marion verzog bei der Kälte in ihrer Stimme das Gesicht. »Er wurde also als Kind verbannt?«
Marion schüttelte den Kopf. »Das wäre im Normalfall passiert, aber hier kam es anders. Schaut, bis kurz vor dem sechzehnten Geburtstag des Prinzen wusste niemand, dass er ein Magier war. Der alte König war natürlich unglaublich wütend, als er es herausgefunden hat, und hat Lord Renaud in die Wüste am südlichen Ende von Mellinor verbannt.«
»Sechzehn ist viel zu alt für eine Manifestation«, sagte Miranda und trommelte mit den Fingern gegen den steinernen Türrahmen. »Ein Magierkind kann die Geister von Geburt an hören. Spätestens wenn es anfängt zu sprechen, fällt auf, dass etwas nicht stimmt. Ein Prinz, besonders der Thronerbe, wird kaum im Verborgenen aufgezogen. Wie konnte niemand davon wissen?«
»Die Königin hat es für ihn vertuscht«, erklärte Marion traurig. »Es war kein Geheimnis, dass sie ihn am meisten liebte. Sie ließ keine Diener in seine Nähe, sondern kümmerte sich selbst um ihn, zog ihn an, stopfte seine Kleidung, kochte seine Mahlzeiten und so weiter. Die Leute vermuteten, dass es daran lag, dass Renaud der Kronprinz war, da sie nie etwas in der Art für Henrith getan hat. Inzwischen kennen wir natürlich den wahren Grund.«
Miranda zog die Augenbrauen hoch. »Und wie ist es dann herausgekommen?«
»Die Königin hatte ein schwaches Herz. Es wurde schlimmer, je älter sie wurde, und schließlich konnten die Ärzte nichts mehr tun. Sie ist an Renauds Geburtstag gestorben. Man sagt, der Prinz wäre danach vor Trauer verrückt geworden, da seine Mutter sein Ein und Alles gewesen war. Und in seinem damaligen Zustand war nicht länger zu übersehen, was er war. Noch vor dem Ende der Woche wurde er verbannt und Henrith an seiner Stelle zum Kronprinzen ernannt.« Marion lehnte sich neben Miranda an die Wand. »Natürlich ist das alles vor Jahren geschehen, lange bevor ich in den Palast kam. Ich habe Lord Renaud nur einmal gesehen, als der König ihn aus der Stadt vertrieben hat.«
Miranda beäugte die dicht gedrängte Menge. »Die Rückkehr eines verbannten Prinzen. Kein Wunder, dass alle sich so anstellen. Nun ja«, sie richtete sich auf, »seltsame Vorgänge hin oder her, ich muss meine Geister auf den Brief ansetzen, oder wir sind
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