Meister der Stimmen: Roman (German Edition)
nie riskiert, dass sein Bruder überlebt, wenn er nicht eine wasserdichte Erklärung parat hätte. Henrith hat mir erzählt, dass Renaud die Meister wahrscheinlich bereits davon überzeugt hat, dass jeder, der sich der Burg nähert und aussieht wie Henrith, ein Phantom ist, das ich heraufbeschworen habe, um sie zu täuschen.«
»Ein Phantom?« Eli lachte dreckig. »Wie kommt man denn auf so eine Idee?«
»Frag nicht«, grummelte Miranda. »Jedenfalls bedeutet das, dass ein Frontalangriff nicht in Frage kommt. Aber trotzdem kann der Geisterhof nicht zulassen, dass ein Versklaver Zugriff auf die Macht eines Königreiches bekommt – diese Lektion haben wir bei Gregorn gelernt. Meister Banage würde Henriths Echtheit bezeugen, aber das Volk von Mellinor würde das wohl auch nur für ein Täuschungsmanöver der Spiritisten halten. Was wir auch tun, Mellinor gerät entweder in Konflikt mit den Spiritisten, den Ratstruppen oder sich selbst. Krieg ist schon schlimm genug, aber wenn auch noch ein Versklaver mit im Spiel ist?« Sie schüttelte sich. »Stell dir Flüsse als Soldaten vor, Armeen von Bäumen, eine Infanterie aus Feuer, und alle bleiben am Ende vollkommen wahnsinnig zurück, egal, wie der Kampf ausgeht. Dieser Sandsturm war nichts im Vergleich zu dem, was Renaud anrichten kann, wenn man ihm einen Grund dafür liefert. Das können wir nicht zulassen.«
»Nun, das klingt wahrhaft schrecklich«, sagte Eli. »Aber ich sehe immer noch nicht, was uns das angeht.«
»Natürlich geht es euch etwas an!«, schrie Miranda. »Wer hat denn das alles angezettelt? Vierhundert Jahre lang lief in Mellinor alles gut. Vierhundert Jahre! Das sind vier Jahrhunderte ohne Staatsstreich, Rebellion oder politische Probleme, die größer waren als ein Handelsstreit – bis ihr drei aufgetaucht seid.«
»Das ist ein bisschen unfair.« Eli runzelte die Stirn. »Wir haben nur …«
»Das ist mir egal!« Miranda fiel ihm einfach ins Wort. »Mir ist egal, was du wolltest oder wie es laufen sollte. Wie du es auch drehst und wendest, dieses ganze Land geht demnächst vor die Hunde, und das nur wegen euch und eurem dämlichen Plan, vierzigtausend Goldstandards einzusacken, indem ihr ein gesamtes Königreich destabilisiert. Und jetzt will ich von dir wissen, Herr Größter-Dieb-der-Welt, was du dagegen unternehmen willst.«
Eli blickte von der wütenden Spiritistin zum König und zurück. Er drehte sich zu Josef um, der mit den Achseln zuckte, dann zu Nico, die gerade versuchte, die letzten Tropfen Wasser aus der Flasche zu schütteln. Dann ließ er die Schultern hängen.
»In Ordnung«, sagte er. »Ich gebe zu, dass die Dinge eventuell nicht ganz so gelaufen sind, wie wir es uns vorgestellt hatten, aber vielleicht können wir ja eine Abmachung treffen.« Als er zu Miranda hinaufsah, lag bereits wieder ein Lächeln auf seinem Gesicht. »Nehmen wir an, ich erkläre mich dazu bereit, dir zu helfen – was genau würdest du von uns verlangen?«
»Unser Hauptziel ist es, Renaud zu verhaften«, sagte Miranda und nickte in Richtung der Burg, die im Zwielicht kaum noch zu erkennen war. »Danach wird es leicht, Henrith wieder auf den Thron zu setzen.«
»Und du willst unsere Hilfe für den Teil mit der Verhaftung«, sagte Eli und trommelte gedankenverloren mit den Fingern auf seinem Gürtel herum. »Das ist keine leichte Aufgabe. Renaud ist ziemlich stark.«
»Stark, ja«, antwortete Miranda, »aber ich bin mir sicher, ein Mann mit einem Kopfgeld von fünfundfünfzigtausend Goldstandards ist auch nicht gerade ein Schwächling.«
»Solche Schmeicheleien sind für einen bescheidenen Mann wie mich sehr gefährlich.« Eli grinste, und Josef verdrehte die Augen. »Aber ich bin ein Dieb, Fräulein Spiritistin, kein Meuchelmörder. Ihn auszurauben ist eine Sache, aber mich ihm direkt entgegenzustellen?« Er schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, das müsst ihr uns versüßen.«
»Wie meinst du das?«
Eli zog seine unschuldigste Miene. »Ich fühle mich in gewisser Weise für die momentane Situation in Mellinor verantwortlich, und ich bin ein Mann, der seine Verantwortung sehr ernst nimmt. Deswegen werde ich dir meine Dienste zu einem sehr vernünftigen Preis anbieten.«
Miranda verengte die Augen zu Schlitzen. »Ich werde dich nicht dafür bezahlen, dass du etwas tust, was sowieso deine Aufgabe wäre.«
»Oh, kein Geld.« Eli wedelte abwehrend mit der Hand. »Nicht in der Art. Nur ein Austausch von Gefälligkeiten. Ich helfe dir, du hilfst
Weitere Kostenlose Bücher