Meister der Stimmen: Roman (German Edition)
Der dunkle, dreckige Tunnel war der letzte Ort, an dem sie von einem von Renauds verrückten Geistern gefunden werden wollte. Der Schwertkämpfer legte ein straffes Tempo vor. Noch lief er nicht, aber er ging doch so schnell, dass Laufen auch nicht effektiver gewesen wäre. Der Tunnel wurde langsam heller, oder zumindest weniger dunkel. Sie konnte immer noch nichts außerhalb des Lichtscheins der Laterne erkennen, aber die Dunkelheit wurde irgendwie freundlicher, menschlicher. Trotzdem schien der Tunnel unendlich lang zu sein, und Mirandas Beine fingen an zu schmerzen. Die Gärten waren ihr gar nicht als so weitläufig erschienen, als sie sie von oben gesehen hatte. Als der Tunnel kein Ende nahm, fing sie an, sich zu fragen, ob sie vielleicht doch in eine Falle getappt waren.
Schließlich entdeckte sie vor sich echtes Licht. Josef wurde ein wenig langsamer, dann blieb er stehen. Eli hob die Laterne an und beleuchtete so ein schmiedeeisernes Tor, das mit einem einfachen Schloss mit Kette gesichert war. Die Kette war schon vor langer Zeit verrostet, und Josef konnte einfach durch die Gitterstäbe greifen und das Schloss abreißen. Das Tor schwang mit einem Quietschen auf, und sie betraten den letzten Keller ihrer Reise.
»Fantastisch«, meinte Miranda. »Noch mehr Kartoffeln.«
»Ja«, hielt Eli dagegen, »aber das hier sind königliche Kartoffeln! Wir sind da.«
Miranda sah sich voller Skepsis um. Das steinerne Gewölbe mit seinen Fässern voller Kartoffeln und seinem kalten, erdigen Geruch sah genauso aus wie jeder andere Keller der Reichen, durch den sie bis jetzt gestapft waren. Auf der anderen Seite drang schwaches Licht durch die Risse in einer Holztür. Eli blies seine Laterne aus und stellte sie auf einer Kartoffelkiste ab. Dann legte er einen Finger an die Lippen und öffnete langsam und lautlos die Tür.
Der Flur dahinter wurde vom indirekten Lichtschein des Raumes an seinem Ende erhellt. Verzerrte Stimmen hallten den steinernen Gang entlang, und Miranda konnte die Schatten von Dienern sehen, die um einen Kamin saßen. Eli reckte den Hals, so weit es nur ging, dann zog er den Kopf grinsend wieder ein.
»In Ordnung«, sagte er und wischte sich ein paar Spinnweben von seiner Kammerdienerjacke. »Zeit für Phase zwei. Bereit, Nico?«
Das Mädchen nickte und zog ihren Mantel enger um sich.
»Warte«, flüsterte Miranda. »Was bedeutet Phase zwei?«
Eli schüttelte nur den Kopf und legte wieder den Finger an die Lippen, bevor er auf den Flur trat. Miranda bedachte ihn hinter seinem Rücken mit einer unhöflichen Geste und schlich hinter ihm her.
Kapitel 19
H ier stimmt etwas nicht«, murmelte Josef.
»Da ist was dran«, sagte Eli und schlug sein Brot gegen den Holzteller. »Dieses Brot ist mindestens zwei Tage alt.«
Miranda hockte zusammengekauert über ihrem gedünsteten Fleisch und sagte nichts. Die drei saßen dicht gedrängt an einem kleinen Tisch in der Küche, umgeben von einer Menge Diener, die alle mit entschlossener Konzentration ihr Abendessen verschlangen. Bis jetzt bestand Phase zwei daraus, sich in die Küche zu schleichen und kurz vor dem Abendessen zwischen den anderen Dienern unterzutauchen. Niemand hatte sie bemerkt, aber sie kamen Renaud auch nicht näher, und, was noch schlimmer war: Nico war nirgendwo zu entdecken.
»Wir verschwenden unsere Zeit«, grummelte Miranda und schob den Teller fort. »Es gibt keinen Grund, auch noch zu essen.«
»Unschinn«, nuschelte Eli um den riesigen Bissen Fleisch in seinem Mund herum. Er schluckte begeistert. »Ein Diener, der Essen ablehnt, das wäre höchst auffällig gewesen. Außerdem, warum sollen wir es verkommen lassen?« Er nahm noch einen Bissen.
»Sie haben nur zwei Wachen an der Tür«, sagte Josef, ohne die beiden zu beachten, »und keiner kontrolliert die Diener. Die Köche haben uns nicht mal schief angeschaut.«
»Vielleicht wissen sie nicht, dass wir hier sind«, meinte Eli. »Die spionierende Ratte könnte die einzige gewesen sein. Oder vielleicht wissen sie, dass wir in der Burg sind, aber sie haben nicht erwartet, dass wir in die Küche gehen. Oder vielleicht funktioniert mein Plan ja wirklich. Schließlich sind wir extra zur Abendessenszeit gekommen, damit niemand drei Neuankömmlinge bemerkt.«
»Oder vielleicht sind sie auch einfach nur unfähig«, sagte Miranda und erinnerte sich daran, wie man in der Burg reagiert hatte, als sie in Mellinor aufgetaucht war. »Renaud mag ja das Sagen haben, aber Mellinor ist immer noch
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