Meister der Stimmen: Roman (German Edition)
der Tür erregt. Sie kreischte und zitterte in ihren Angeln, weil sie versuchte, dem Kampf zu entkommen, der ihre Mitte zerfraß. Der Lärm war gewaltig, und Miranda schlug sich die Hände über die Ohren. Eli zuckte ab und zu zusammen, schien aber recht zufrieden damit, die Vorstellung zu bewundern. Josef stand einfach nur da und betrachtete gelangweilt die Tür. Nico dagegen schlich sich näher an das zischende Metall heran, als Miranda es je gewagt hätte, und starrte fasziniert auf das Loch, das immer größer wurde.
Schließlich hatten die Säuren ihren Kampf beendet und hinterließen ein ungleichmäßiges Loch, das gerade groß genug war, um eine kleine Faust hindurchzuschieben. Die Tür wimmerte, und Eli streichelte sie sanft, während er Entschuldigungen murmelte und ihr versprach, sie so bald wie möglich neu gießen zu lassen. Ob er es nun ernst meinte oder nicht, die Worte schienen die Tür zu entspannen, und sie schlief wieder ein. Eli steckte seine Hand durch das Loch und knackte das Schloss auf der anderen Seite.
»Schwertkämpfer zuerst«, sagte Eli, als er die Tür aufzog.
Josef legte die Hand auf das Heft und trat vorsichtig in den dunklen Tunnel.
»Die Luft ist rein«, flüsterte er, dann huschte der Rest ihrer Gruppe durch den Türrahmen und achtete sorgfältig darauf, nicht die Stellen zu berühren, wo immer noch Säure dampfte.
Der Flur auf der anderen Seite war kleiner als der Keller, mit dem er verbunden war. Tatsächlich war er kaum breiter als die Tür selbst. Sie gingen hintereinander, mit Josef, der gedankenverloren zwei Messer in den Händen drehte, an der Spitze. Miranda kam als Nächste, gefolgt von Eli, während Nico wie üblich die Nachhut bildete. Die Spiritistin hielt sich genau in der Mitte des Flurs, so weit von den mit Spinnweben überzogenen Wänden entfernt wie nur möglich. Hier und dort hatten sich kleine Wurzeln durch die Decke gegraben, und sie begriff, dass sie sich gerade unter den Palastgärten befanden. In der Dunkelheit hinter ihnen huschte immer wieder etwas vorbei und sorgte dafür, dass Miranda Gänsehaut bekam. Anscheinend gefielen Josef die Geräusche auch nicht, weil er so plötzlich anhielt, dass Miranda fast in ihn reingerannt wäre.
»Was jetzt?«, flüsterte sie, als sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte.
Josef hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. Sie starrte ihn böse an, sagte aber nichts mehr. Hinter ihnen erklang wieder ein verstohlenes Geräusch, und Josef drehte sich auf dem Stiefelabsatz um. Miranda sah nicht, wie das Messer seine Hand verließ, aber sie hörte, wie es sein Ziel traf. Ein lautes Quietschen erklang hinter ihnen, dann war alles still. Eli wirbelte herum und hielt seine Laterne hoch. Das Licht fiel auf ihre Fußabdrücke im Staub, und direkt am Rand des Lichtkegels lag eine sich windende, sterbende Ratte, die von Josefs Messer aufgespießt worden war.
»Verfolgungswahn?«, murmelte Eli und ließ die Laterne sinken. »Es sieht dir gar nicht ähnlich, Tiere zu töten.«
»Das ist kein Verfolgungswahn.« Josef holte sich sein Messer zurück. »Hast du je erlebt, dass eine Ratte sich so benimmt?«
»Wovon redest du?«
»Ratten sind Allesfresser«, sagte Josef. »Diese hier folgt uns allerdings seit dem ersten Keller. Welche Ratte verlässt einen Keller voller Nahrung, um Menschen in einen leeren Flur zu folgen?«
Miranda eilte zu dem sterbenden Tier und hielt ihre Hand über seinen Kopf. Tatsächlich, sie konnte fühlen, wie sich die letzten Spuren von Renauds Geist zurückzogen, als die Bewegungen der Ratte erstarben. Sie riss ihre Hand zurück.
»Josef hat recht«, sagte sie.
»Wenn er Ratten kontrolliert, könnte das zu einem ziemlichen Problem werden«, sagte Josef und sah Eli an. »Selbst du kannst dich nicht an Ratten vorbeischleichen.«
»Er kann sie nicht alle kontrollieren«, sagte Miranda und wischte sich die Hand am Rock ab. »Viele kleine Geister zu kontrollieren ist wesentlich schwerer, als einen einzelnen großen unter Kontrolle zu halten.«
»Er müsste sie gar nicht alle kontrollieren«, sagte Eli nachdenklich. »Ratten reden untereinander, und zwei Magier sind nicht gerade unauffällig. Zwei oder drei Informanten würden schon reichen.«
Josef schob sich an ihnen vorbei und ging mit schnellen, steifen Schritten weiter. »Wir müssen einfach davon ausgehen, dass Renaud weiß, dass wir hier unten sind«, sagte er. »Was bedeutet, dass wir woanders sein sollten.«
Miranda eilte hinter ihm her.
Weitere Kostenlose Bücher