Meister der Stimmen: Roman (German Edition)
den verqualmten Gang treten konnten.
»Schau«, sagte Miranda und stützte sich an der rußigen Wand ab, »selbst wenn du recht hast und der Plan immer noch funktionieren kann, wissen wir nicht, wo die Schatzkammer ist. Nachdem wir es so weit geschafft haben, ohne auf mehr Ärger zu stoßen als eine spionierende Ratte, können wir ziemlich sicher davon ausgehen, dass Renaud den Pfeiler noch nicht hat. Aber wenn irgendjemand uns erkennt, werden wir erst von Wachen überrannt und kurz danach von versklavten Geistern. Wir haben keine Zeit, ziellos durch die Gegend zu irren.«
»Dann fragen wir eben jemanden.« Eli grinste fies und zeigte über ihre Schulter. »Und ich glaube, ich habe gerade jemanden gefunden, der uns helfen kann.«
Miranda wirbelte herum und riss entsetzt die Augen auf. An der Kreuzung, wo ihr kleiner Flur auf den Hauptgang traf, stand Marion – still wie eine Statue und mit vor den Mund gepressten Händen, trotz der Diener, die sie ständig anrempelten. Sobald Miranda ihren Blick aufgefangen hatte, rannte das Mädchen auch schon los, und Miranda konnte kaum Luft holen, da fand sie sich bereits in einer stürmischen Umarmung der Bibliothekarin wieder.
»Oh, Herrin Miranda«, keuchte sie. »Ich wusste, dass Ihr wiederkommen würdet! Ich wusste es einfach! Der König ist nicht wirklich tot, oder?«
Miranda drückte ungeschickt die Schultern des Mädchens. »Nein, Henrith lebt. Er ist bei Gin und in Sicherheit.«
Marion sah zu ihr auf, und ihre Augen leuchteten begeistert. »Wirklich? Oh, den Mächten sei Dank.« Sie musterte flüchtig Eli und Josef. »Wer ist das? Verstärkung vom Geisterhof?«
»Mehr oder weniger.« Miranda grinste, und Eli verdrehte die Augen. »Hör zu«, sie schob Marion ein Stück zurück, um dem Mädchen in die Augen sehen zu können, »Marion, das ist wichtig: Wir müssen in die Schatzkammer.«
Marion nickte heftig, packte Mirandas Hand und zog sie zum Ende des Flurs. »Hier entlang«, sagte sie und deutete auf einen winzigen Korridor, den Miranda bis jetzt nicht einmal bemerkt hatte. »Bei dem Chaos in den Hauptfluren geht es schneller, wenn wir die Dienstbotenwege nehmen.«
Miranda nickte und ließ sich widerwillig weiterziehen. Eli schloss sich ihr an, und Josef bildete die Nachhut. Wie gewöhnlich war Nico nirgendwo zu entdecken. Marion führte sie durch einen Irrgarten schmaler Flure und dann eine Treppe hinunter. Diese führte zu weiteren Korridoren und noch mehr Treppen, bis Miranda kaum glauben konnte, dass diese labyrinthartigen Flure wirklich alle in der Burg lagen, die sie erst gestern mit Hilfe von Dreistigkeit das erste Mal betreten hatte.
Als sie den gewundenen Gängen zu einer weiteren Treppe folgten, fiel ihr etwas ein, und sie sah über die Schulter zu Eli. »Woher wusstest du, dass das Marion ist?«, flüsterte sie. »Ich habe dir nie erzählt, wie sie aussieht.«
»Ganz einfach«, flüsterte Eli zurück. »Wäre denn sonst noch jemand in diesem Palast froh, dich zu sehen?«
Miranda konnte ein Lachen nicht unterdrücken – schließlich war es die reine Wahrheit – und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Flur zu, während Marion sie an der Abzweigung zu den Gefängniszellen vorbeiführte und noch eine schmale Treppe hinabstieg, die sie weiter und weiter in das Herz der Burg führte.
Kapitel 20
M arion führte sie in Tiefen, von denen Miranda nie geglaubt hätte, dass sie existierten, noch unter die Zellen, unter die Grundmauern, deren wuchtige Steine tief in den fruchtbaren Boden von Mellinor eingebettet waren. Obwohl die Stadt so tief lag, gab es keine Anzeichen von Wasser. Keinerlei Sickerwasser, wie man es so tief unter der Erdoberfläche erwartet hätte. Nur die uralten hölzernen Stützpfeiler und die flackernden Lampen brachen die Monotonie der glatten, trockenen Steine, während sich die schmalen Flure und damit verbundenen Treppen tiefer und tiefer in die Erde hinabwanden.
Schließlich erreichten sie am Fuße der bis jetzt längsten Treppe eine kleine Holztür.
»Weiter kann ich euch nicht bringen«, sagte Marion und drehte sich zu ihnen um. »Hinter dieser Tür liegt der Saal vor der Schatzkammer, aber ich war noch nie drin. Um ehrlich zu sein«, sagte sie und lief rot an, »dürfen Diener eigentlich nur bis zum Zellentrakt, aber ich habe viel Zeit damit verbracht, mir Pläne der Burg einzuprägen, als ich noch als Assistentin des Meisterarchitekten gearbeitet habe. Ich wurde erst später zur Bibliothekarin befördert.«
»Den
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