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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Mondkind und Klagende
Morgendämmerung standen eingekeilt zwischen den lachenden Mönchen und konnten nicht
an ihre Waffen. Als zwei große Mönche sich dem Thron näherten und den Anführer
hochnahmen, hob Meister Li nur hilflos die Augen zum Himmel.
    Wir hatten Glück. Die
Papiermaske blieb an ihrem Platz, und im flackernden Fackellicht sah man
ohnehin nicht allzu gut. Ich dachte, die Mönche glaubten vermutlich, ihr
Anführer sei bereits betrunken. Im nächsten Augenblick hatte ich eine Leiche
auf dem Rücken. Ihr Kopf fiel mir über die Schultern, und die Arme baumelten
rechts und links von meinem Hals. Mir blieb nichts anderes übrig, als die
leblosen Beine festzuhalten und zu hoffen, die Besichtigung werde uns zum
Prinzen führen, wie Meister Li angenommen hatte. »T'ien-kuan-ssu-fu !« rief der Zeremonienmeister, »Der Vertreter des
Himmels bringt Glück! Läutet die Glocken! Schlagt die Gongs! Laßt die
Fledermäuse fliegen! Laßt uns tanzen und fröhlich sein, denn das Fest des
Lachens hat begonnen !« »Ha, ha, ha! Ho, ho ho !« lachten die Mönche, und schon ging es los.
    Glocken und Gongs dröhnten
so laut, daß es mir in den Ohren schmerzte. Käfige wurden geöffnet, und viele
tausend verschreckte Fledermäuse flatterten in panischer Angst durch die Luft.
    »Tanzt! Tanzt! Tanzt!
Ausgelassene Freude herrsche beim Fest des Lachens /« schrie der Zeremonienmeister. Es
gelang mir, einen Blick zurück zu werfen, und ich sah, daß Meister Li, Mondkind
und Klagende Morgendämmerung von den hüpfenden Mönchen so eng umringt waren,
daß ihnen wenig anderes übrigblieb, als ebenfalls zu tanzen. Die Fledermäuse
verloren im schrillen Lärmen der Glocken und
    Gongs völlig die
Orientierung. Sie prallten gegen die Felswände und die Decke, und überall um
uns herum stürzten die kleinen, pelzigen Körper zu Boden. »Mehr Lachen! Mehr
Tanzen! Mehr Glocken! Mehr Fledermäuse !« brüllte
der Zeremonienmeister.
    Die Leiche auf meinem
Rücken wurde mit erstaunlicher Geschwindigkeit starr. Die baumelnden Arme
preßten sich unangenehm gegen meinen Hals, und es fiel mir schwer zu atmen. Ich
versuchte, das Gewicht zu verlagern. Aber nichts ist schwerer zu bewegen als
eine Leiche. Sie ist wie ein Sack Mehl mit hinderlichen und beschwerlichen
Armen und Beinen.
    »Freude !« grölte der Zeremonienmeister, »Freude! Freude!
Freude!«
    Die Arme würgten mich mehr
und mehr. Mir blieb keine andere Wahl, als die Beine der Leiche loszulassen und
die Arme auseinanderzuzerren. Während ich vorwärtsstolperte, schleiften ihre
Füße auf dem Boden nach. Es war, als versuchte ich, dicke Eisenstäbe
auseinanderzubiegen ... Eisenstäbe! Blitzartig sah ich die Klosterbibliothek
vor mir und die Eisenstäbe, die wie Wachskerzen verbogen waren. Ich zerrte und
riß mit all meiner Kraft. Die Arme preßten sich wie ein Schraubstock zusammen.
    »Die Freude wird
grenzenlos sein, denn der Herr des Glücks begrüßt seinen Ehrengast !« schrie der Zeremonienmeister. Das Gesichtstuch der
Leiche verrutschte. Die Maske fiel zu Boden. Der Kopf hob sich langsam. Ein
Auge öffnete sich und zwinkerte mir zu, und als der Mund sich öffnete und der
faulige Atem mich traf, drehte sich mir der Magen um. »Wie freundlich von dir,
den bescheidenen Mönch bei der Besichtigung zu tragen«, sagte der Lachende
Prinz. Ich konnte mich unmöglich irren. Die eine Gesichtshälfte war das Gesicht
des Porträts im Schloß. Auch die andere Hälfte war der Lachende Prinz, aber sie
sah aus wie ein Abbild aus Wachs, das man neben einem Feuer vergessen hatte.
Das Fleisch war teilweise verwest. Auch seine Stimme klang
    halb verwest: belegt,
schleppend, hohl und vermodert. Das andere Auge öffnete sich und zwinkerte mir
zu. Aus beiden Augen sprach der nackte Wahnsinn.
    »Dir wird es in meinem
Reich gefallen«, höhnte der Lachende Prinz.
    »Tanzt! Tanzt! Mehr
Freude! Mehr Fröhlichkeit !« grölte der Zeremonienmeister.
    »Siehst du, wie die Mönche
sich amüsieren ?« sagte der Lachende Prinz. »Du und
deine Freunde, ihr seid eine erfreuliche Bereicherung unserer Gesellschaft .« Die Gesichtstücher der hüpfenden Mönche lösten sich, und
ich sah, daß es Leichen waren. An weißen Knochen hingen noch Fleischreste, und
leere Augenhöhlen starrten in ewigem Entsetzen ins Leere.
    »Mehr Fledermäuse! Mehr
Glocken! Schlagt die Gongs !« johlte der Zeremonienmeister.
    Der Lachende Prinz hatte
Göttlichkeit gesucht und eine Ewigkeit als chiang shih gefunden, als die
Leiche, die aus

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