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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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mußte ich
mit ansehen, wie schwarzer Rauch auf meine Beine zukroch, und ich zuckte vor
Schmerz zusammen, als mir etwas Glühendes zischend über die Knöchel lief. Aber
der Rauch verzog sich, und wo das Ungeheuer gewesen war, lag nur noch ein
Häufchen schwelender Asche.
    Die Glocken verstummten.
Die Gongs verhallten. Die Leichen standen erstarrt in grotesken Verrenkungen.
Nur die Fledermäuse flatterten immer noch im Fackellicht. Etwas bewegte sich.
Tränen stiegen mir in die Augen und liefen mir über die Nase, als ich sah, daß
Meister Li auf mich zukroch. Er lebte. Auch Klagende Morgendämmerung und
Mondkind lebten. Ich lebte, und wir erwachten nicht, um bis in alle Ewigkeit
als Muntere Mönche im Narrenkleid zu tanzen.
    24.
    Mondkind stützte meinen
Kopf. Meister Li holte den Schlauch hervor und goß mir Wein in den Mund, bis
ich hustend nach Luft rang, mich aufsetzte und den Wein ausspuckte. Das half
mir, einen klaren Kopf zu bekommen, den Meister Li großväterlich tätschelte.
»Auf Reisen nimm immer einen Ochsen mit«, sagte er.
    Mondkind drückte mir einen
Kuß auf die linke Wange. Aber ich wollte keinen Kuß von Mondkind und war immer
noch so schwach, daß mir die Tränen in die Augen stiegen. Klagende
Morgendämmerung hatte sich nicht die Mühe gemacht, zu mir zu kommen. Das
Selbstmitleid wollte mich gerade überwältigen, als ich begriff, daß sie als
einzige von uns einen klaren Kopf behalten hatte, denn schließlich wußten wir
nicht, welche Schrecken hier noch drohten. Es war ihr gelungen, den Bogen vom
Rücken zu nehmen, und sie kauerte schußbereit hinter dem Ölbecken. Aber außer
den Fledermäusen bewegte sich nichts. Schließlich gab sie ihren Wachposten auf
und kam herüber.
    »Ochse«, sagte sie und gab
mir einen Kuß, »die Jungen im Dorf werden dich in die Geschichte von Wolf
aufnehmen müssen. Noch niemand hat sich aus der Umklammerung eines chiang
shih befreit .«
    Konnte er wieder lebendig
werden? Bei dem Gedanken erschauerte ich; Mondkind ebenfalls, und Klagende
Morgendämmerung verschränkte die Arme schützend vor der Brust.
    »Meister Li, ich habe
dieses schreckliche Wesen gehaßt und gefürchtet. Aber weshalb fühlte ich mich
auch zu ihm hingezogen ?« flüsterte sie. »Es war
beinahe so, wie ich mich zu Mondkind oder sogar zu Prinz Liu Pao hingezogen
fühle .« Mondkind sah sie ernst an und wandte sich an
Meister Li: »Ich habe die Anziehungskraft ebenfalls gespürt«, sagte er ruhig.
»Als ich hinter dieser Kreatur tanzte, tat ich es nicht nur, weil ich dazu
gezwungen war. Ich wollte es auch .« Meister Li sah
mich an. »Ochse?«
    Ich schüttelte den Kopf.
»Nein, Meister«, sagte ich, »ich empfinde nur Furcht und Abscheu .«
    »Bei mir ist es nicht
anders, und ich glaube, uns fehlt einiges an Sensibilität«, sagte er.
    Er ging zu der schwelenden
Asche und beugte sich hinunter. Sein Messer blitzte im Schein der Fackeln. »Der
Lachende Prinz ist vor mehr als sieben Jahrhunderten gestorben, so glaubten
zumindest damals seine Ärzte und ließen ihn begraben. Aber er befand sich nur
auf der Großen Reise. Der Lachende Prinz kam in seinem Jadegewand in den
Sarkophag. Aber er trug das Steinamulett an einer Kette um den Hals. Der Stein
sank in seinen faulenden Körper. Noch bevor die Diener der Hölle kamen, war der
Stein in sein Herz gedrungen, und er war von den Toten auferstanden und atmete
wieder. Aber er war wahnsinnig, praktisch nicht mehr bei Verstand und durch und
durch böse. Heißt das, auch der Stein war böse? Kinder, die Anziehungskraft,
die ihr spürt, ließe sich sehr viel leichter erklären, wenn das Gegenteil der
Fall wäre .«
    Meister Li stocherte mit
dem Messer vorsichtig in der Asche und brachte einen glatten, flachen Stein zum
Vorschein. Er rieb ihn behutsam an seinem Gewand sauber. Ich erschrak, als er
mit dem Stein in der Hand herüberkam. Vermutlich erwartete ich, seine
Fingernägel würden eine Elle wachsen, und struppige schwarze Haare würden seine
Finger überziehen. Als er den Kopf hob, suchte ich in seinen Augen das Glitzern
des Wahnsinns. Statt dessen sah ich einen
Tränenschleier, und seine Stimme klang sanft und leise.
    »Ist der Stein böse? Hier,
Ochse, urteile selbst .«
    Er gab mir den Stein. Es
geschah so schnell, daß ich ihn in die
    Hand nahm, ohne zu
überlegen. Aber dann schrie ich auf
    und hätte ihn fallen
lassen, wenn Meister Li nicht die Finger
    um meine Hand geschlossen
hätte.
    »Hab keine Angst«, sagte er
ruhig.
    13er Stein lebte, und

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