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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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sicher nicht
betreten, es sei denn, man hatte ihn getragen. Meister Li senkte die Stimme.
»Mondkind, jetzt bist du an der Reihe«, flüsterte er. »Irgendwo da hinten
lauern möglicherweise sehr unfreundliche Herren, und ich möchte, daß sie hören,
wie wir durch den Gang gehen, ohne daß wir es tatsächlich tun.« Mondkind
nickte. Er setzte sich an den Eingang, zog die Sandalen aus und plazierte den
Speer so, daß er ihn mit der Schulter am Fels entlangschieben konnte. »Psssst,
leise«, flüsterte Meister Li. Allerdings war es nicht Meister Li, sondern
Mondkind, der in den Gang sprach. Die Sandalen in seinen Händen bewegten sich
schnell und leicht, und vier Paar Füße schienen den Gang zu betreten. »Ich sehe
nichts«, flüsterte meine Stimme. »Ich auch nicht«, schien Klagende
Morgendämmerung zu flüstern.
    »Hier entlang«, flüsterte
Mondkind.
    Die Sandalen schlugen
allmählich härter auf den Boden, als kämen die Menschen näher, die sie trugen.
Mondkind bewegte die Schulter und brachte mit dem Speer ein metallisches
Kratzen hervor, dem ein unterdrückter Fluch in Meister Lis Stimme folgte.
    »Ist das wieder eine Quaste ?« flüsterte meine Stimme lauter.
    Weit hinten in dem dunklen
Gang knackte es plötzlich laut. Es folgte das Krachen von splitterndem Holz,
und dann hörten wir ein lautes Poltern. Der Boden zitterte, der Fluß schlug
Wellen, die sich am anderen Ufer brachen, und eine Wolke aus Staub und
Holzsplittern quoll aus dem Gang. Ein donnernder Schlag folgte auf den
nächsten, als stürze die ganze Decke ein, und es dauerte lange, bis der Lärm
verstummte und das Echo verhallte.
    »Gut«, sagte Meister Li. »Offiziell
sind wir tot, zermahlen wie Getreide unter dem Mahlstein. Sie werden nicht
damit rechnen, daß wir ihnen einen Besuch abstatten. Glücklicherweise dürfte es
nicht schwierig sein, sie zu finden .«
    23.
    Meister Li saß auf meinem
Rücken. Die Treppe war sehr steil, hatte zahllose Absätze, und ich mußte
anhalten, um wieder zu Atem zu kommen, als wir eine große Höhle erreichten, in
die mehrere Seitengänge mündeten. Meister Li hüpfte herunter und wanderte in
der Höhle herum, während Mondkind, Klagende Morgendämmerung und ich uns setzten
und ausruhten. Plötzlich hörten wir einen erstaunten Ausruf und rannten zu ihm.
    Meister Li war zufällig
gegen die Felswand gestoßen, und an dieser Stelle bewegte sie sich. Eine Tür
hatte sich geöffnet, hinter der ein anderer Raum lag, in dem wir alle schon
einmal gewesen waren. Wir traten ein und sahen uns in der Kammer des
Zahlmeisters mit der Fallgrube um, auf deren Grund zwei tote Gärtner lagen. Die
Pfeile steckten immer noch überall im Holz. Klagende Morgendämmerung bückte
sich und betrachtete einen genauer. Staunend blickte sie auf. »Ich weiß, es ist
mir bereits aufgefallen«, sagte Meister Li, »es sind keine alten, sondern
relativ neue Pfeile. Ein Junge oder ein Mädchen aus dem Tal hätten die Höhle
unmöglich finden und hier spielen können, ohne daß es jemand erfahren hätte.
Kein Kind kann ein solches Geheimnis für sich behalten, es sei denn, es wurde
damit geboren. Glückliches Familienleben mit den Munteren Mönchen?«
    Er ging zur Fallgrube vor
dem Pult des Zahlmeisters und blickte düster in das schwarze Loch.
    »Ich frage mich«, sagte er
wie zu sich selbst. »Hat man euch dafür bezahlt, daß ihr einen Jungen oder ein
Mädchen eine steile Treppe hinaufgetragen habt, so wie Ochse mich? Habt ihr
hier angehalten, um euch auszuruhen? Hat das Kind mit Pfeil und Bogen gespielt?
Habt ihr es dann weiter nach oben getragen, damit es wieder diese wunderbare
Rutschpartie in den Fluß machen konnte? Seid ihr noch einmal und noch einmal
zum Bogenschießen und für die nächste Rutschpartie heraufgestiegen? Habt ihr
mehr gehört und gesehen, als ihr hättet hören und sehen sollen? Hat man euch
aufgefordert, vor das Pult zu treten, um euren Lohn entgegenzunehmen ?«
    Die Fallgrube blieb stumm.
Meister Li ging achselzuckend zurück zur Höhle. Er hüpfte auf meinen Rücken,
und ich stieg weiter nach oben. Das letzte Stück der Treppe nach dem vierten
Absatz brachte uns zu unserem Ausgangspunkt direkt neben dem Gang mit dem Loch
und der wundervollen Rutschbahn im Felsen zurück. Ich sah plötzlich ganz
deutlich einen Gärtner vor mir, der ein lachendes Kind absetzte, das zur
Rutschbahn rannte und in der Dunkelheit verschwand.
    Meister Li ging mit
schnellen Schritten durch den Gang zurück in den kleinen Vorraum. Es blieb

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