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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Die Grotte war so schaurig wie zuvor, aber als wir sie verließen und im
Freien standen, wußte ich, das alles war tot und vergangen wie der Lachende
Prinz. Ein herrlicher Sonnenuntergang verklärte den Himmel, die Vögel sangen
ihre letzten Lieder, und tief unter uns lag das Tal der Seufzer in einem
Schleier grüner, goldener und violetter Schatten: ein Land so schön wie im
Märchen und bei weitem lebendiger.
    5.
    Es hätte keinen Sinn
gehabt, vor dem nächsten Morgen mit Pflanzen- und Bodenproben nach Ch'ang-an
aufzubrechen; außerdem war es der fünfzehnte Tag des siebten Mondes, und meine
Ohren hatten mich nicht getäuscht. Der Abt hatte tatsächlich »zweiundvierzig
Kessel Fisch« gemurmelt, und das Kloster roch wie der Gelbe Karpfen Kai. Die
Düfte von Reis, Schweinefleisch, Kohl, Eiern und der traditionellen
Auberginenfladen trieben vom Dorf den Hügel hinauf. Die Nachricht, daß der
Lachende Prinz sicher in seinem Grab lag, hatte sich wie ein Lauffeuer
verbreitet, und das Tal der Seufzer bereitete sich auf ein Fest vor. »Denkt an
meine Worte«, sagte Bruder Shang. »Jemand wird sich ein Bein brechen .« Meister Li lauschte auf die leise Musik, die aus dem Dorf
drang. »Der Tanz der Bauern kann ziemlich ausgelassen werden«, stimmte er zu.
    »Riecht Ihr die Chilisauce?
Jedes Kind im Dorf wird Bauchweh haben .«
    »Ja, mindestens eine Woche
lang«, sagte Meister Li. »Die Mönche werden scharenweise ihr Gelübde vergessen.
Ich werde das Erbrochene aufwischen müssen und Mittel gegen Kater brauen«,
sagte Bruder Shang, der eigentlich Wu Shang hieß und seinem Namen alle Ehre
machte, denn er zog immer den kürzeren . (Wu Shang
bedeutet »Schwere Geburt«.) Diesmal mußte er als einsamer Wächter im Kloster
bleiben, während die anderen Mönche feierten. »Mit Sicherheit wird jemand eine
Fackel in eine Scheune werfen«, sagte Meister Li unheilverkündend.
    »Sie können von Glück
reden, wenn eine Hütte stehenbleibt«, sagte Bruder Shang schon etwas
fröhlicher. »Überall werden Familienstreitigkeiten ausbrechen. Man wird die
eingeschlagenen Schädel nicht zählen können. Denkt an meine Worte: Dieser Tag
wird als schwarzer Tag in die Annalen des Tales eingehen .«
    Wir überließen den Armen
seinem Selbstmitleid, einem wenig nützlichen Gefühl, und gingen hinunter ins
Dorf. Seit ich bei Meister Li bin, ist das Fest der Hungrigen Geister mein Lieblingsfest,
denn ich zweifle nicht daran, daß ich auch einmal ein hungriger Geist werde.
(Das Fest findet zu Ehren all jener statt, die in fernen und trostlosen Ländern
gestorben sind, oder deren Leichen bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurden.)
Überrascht stellte ich fest, daß Meister Li sein bestes Verhalten an den Tag
legte. Seine Pflicht als Gast verlangte es, das Urteil über die Weine des Tals
zu sprechen, und ich war auf das Schlimmste gefaßt, als er sich den stinkenden
Töpfen näherte und das förmliche »Ning szu che hou t'uen« murmelte, was
soviel heißt wie: »Ich bin zum Sterben bereit. Ich trinke .« Aber er nahm nur einen kleinen Schluck von jedem giftigen Gesöff und lobte alle
rückhaltlos, selbst das Zeug, von dem etwas auf die Erde rann, zwei Eidechsen
tötete und das Gras auf drei Fuß im Quadrat verbrannte. Der Abt hielt die
rituellen Gebete und Zeremonien gnädigerweise kurz,
und ich freute mich, als Bruder Shang zum Höhepunkt des festlichen Auftakts
wurde, obwohl er nicht an der Feier teilnehmen konnte. Er hatte im Winter
winzige Bambusflöten geschnitzt und harmonisch aufeinander abgestimmt. Nun band
er sie an die Schwänze der Klostertauben und ließ sie über das Dorf fliegen, um
uns mit einem unanständigen Lied mit dem Titel »Chu Changs Nachttopf« zu
beglücken. Der Abt murmelte etwas davon, den unverschämten Burschen zur
Rechenschaft zu ziehen, aber er meinte es nicht ernst.
    Der Tanz der Bauern begann,
und das bedeutete, auch die Raufereien würden nicht mehr lange auf sich warten
lassen, und ich war sehr enttäuscht, als Meister Li beschloß, sich
davonzumachen und im Mondlicht über die Hügel zu wandern. Er schlug die
Richtung zum zerstörten Teil der Prinzentrift ein, blieb dort mehrere Minuten
stehen und wippte auf den Absätzen, wobei er die Hände auf dem Rücken
verschränkt hielt.
    »Ochse ,« sagte er schließlich, »was stimmt an der Analyse der Situation nicht, die ich
dem Prinzen Liu Pao gegeben habe?«
    »Meister?«
    »Ich habe versucht, ihn zu
beruhigen. Ich wünschte, ich könnte mich selbst beruhigen«, sagte

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