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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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nach
göttlicher Rache schreien höre, vermute ich hinter dieser Forderung
Magenbeschwerden .« Er hüpfte noch ein bißchen im Gras
herum, blieb dann stehen und sah mich prüfend an. »Magenbeschwerden ?« fragte
    Die hatte ich nicht, aber
ich konnte nicht erklären, was mich beunruhigte. Mit der Nacht stimmte etwas
nicht. Ich bezweifle, daß es einem Städter aufgefallen wäre, aber ich bin durch
und durch ein Landmensch. Meine Nerven spannten sich, weil ich ein unmerkliches
Aussetzen beim Zirpen der Grillen hörte. Eine Eule verstummte mitten in ihrem
Jagdschrei. Im Rascheln der kleinen Nachttiere lag ein gewisses Zögern. Etwas
Merkwürdiges und Unnatürliches hatte sich im Tal der Seufzer ausgebreitet, und
ich stellte fest, daß auch ich den Atem anhielt.
    Es setzte mit einem
leichten Vibrieren ein. Das Vibrieren wurde deutlicher spürbar, und ich sah,
daß Meister Li sich schnell umblickte. Dann kam der Ton. Ich kann ihn nicht
beschreiben. Niemand könnte es. Er war wie nichts auf dieser Welt und
gleichzeitig wie alles. Mein ganzer Körper erschauerte vom qualvollen Gefühl
eines Verlustes, aber auch von Sehnen und Hoffen - als hätte ich einmal etwas
sehr Kostbares verloren, und die Erinnerung kehre zusammen mit der Hoffnung, es
wiederzufinden, zurück. Kann ich sagen, der Ton habe Noten gehabt? Wenn ja,
waren sie so einfach und direkt wie die ersten drei Noten der Tonleiter, wobei
die dritte Note gehalten wurde: »Kung... shang... chueeeeeeeeeeeeeeeeeeeeh .. .« Besser kann ich den Ton
nicht wiedergeben. Er traf mich mit solcher Wucht, daß ich weinte, und ich
glaubte, mein Herz würde brechen. »Ochse, was ist los ?«
    »Der Ton«, schluchzte ich,
»Meister Li, Ihr hört doch sicher den Ton !« »Welchen
Ton?«
    »Kung . . . shang...
chueeeeeeeeeeeeeeeeeeeeh. ..«« Er war schön, er war quälend, und er rief mich. Ich
wußte, ich mußte ihn erreichen oder sterben, und nicht nur ich allein. Das Fest
fand ein vorzeitiges Ende, und Leute rannten außer sich durch den Wald. Andere
hörten wie Meister Li überhaupt nichts und riefen hinter ihnen her: »Kommt
zurück !« und »Seid ihr verrückt geworden?« Ich sprang
auf. Drei kleine Mädchen liefen weinend an uns vorüber und hielten instinktiv
schützend die Hand vor die Flämmchen ihrer Lotusblattlaternen.
    Meister Li fluchte, hüpfte
mir auf den Rücken und schob die Füße in meine Taschen. »Hör auf zu zittern wie
ein Rennpferd mit gefesselten Vorderbeinen und lauf los«, knurrte
    Ich rannte. Der Mond schien
so hell, daß die Schatten mit einem scharfen Instrument in den Boden hätten
geritzt und sorgsam schwarz ausgemalt sein können. Hoch oben funkelte der Große
Sternenfluß. Ich überlegte kurz, ob der eigenartige Ton vielleicht aus dem
Herzen eines Sterns kam - mit Sicherheit wäre er dann nicht schwerer zu
erreichen gewesen. Es war, als versuche man nachts in einer riesigen alten
Scheune eine Grille zu finden: Er war vor mir, dann hinter mir, einmal auf der
einen Seite und dann auf der anderen Seite. Schließlich erkannte ich, daß ich
im Kreis herumlief. Meister Li zog an meinem Hals wie an den Zügeln eines
durchgegangenen Pferdes.
    Ich blieb keuchend, mit
gespreizten Beinen und gesenktem Kopf stehen. Meister Li reichte mir den
Weinschlauch, und es gelang mir, etwas zu trinken. Ich verschluckte mich und
rang nach Luft, aber ich fühlte mich besser, und er klopfte mir beruhigend auf
die Schulter.
    »Was immer es auch ist, ich
höre es nicht. Aber ich weiß, du machst etwas falsch«, sagte er tröstend,
»Ochse, auf die Gefahr hin, wie eine Gestalt aus den Geschichten von Großmutter
Ho zu klingen, will ich dir sagen, daß ein Geräusch, das manche Menschen hören
und andere nicht, nicht die Ohren anspricht. Es spricht zum Herzen, und du hast
ein Loch im Herz. Alle jungen Leute haben das. Es ist da, um die wunderbaren
Dinge der Welt aufzufangen, und später füllt es sich mit Scherben. Vergiß deine
Ohren. Lausch mit dem Herzen. Richte das Loch auf den Ton und schlage die
Richtung ein, wo er am meisten schmerzt .«
    Das Vibrieren kam wieder,
sogar noch stärker als zuvor, und
    ich hielt den Atem an.
    »Kung. .. shang...
chueeeeeeeeeeeeeeeeh ...«
    Ich rannte los, aber jetzt
war ich zuversichtlicher. Meister Li hatte recht . Lauf dorthin, wo es am meisten schmerzt, und vergiß die Lügen der Ohren. Ich lief immer nach oben, jetzt veränderte sich das Licht, denn dichter Nebel
kam auf. Er verhüllte zuerst die fernen Lichter des Dorfs, dann den Mond

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