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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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wirklich ein Rätsel«, sagte er. »Er hat das geschrieben, und dann zog
er mit seinen Munteren Mönchen hinaus, um wieder ein paar Kinder zu fangen und
zu foltern .« Meister Li wies mit dem Kopf auf den
anderen Sarkophag, und ich stemmte mich gegen den Deckel. Als er langsam nach
unten glitt, fielen uns beinahe die Augen aus dem Kopf, und als der Sarg ganz
offen war, trat ich zurück und setzte mich erschüttert auf den Boden. Nur das
Zischen unserer Fackeln durchbrach die Stille.
    Der Sarg war leer. Prinz
Liu Pao setzte sich neben mich und sank in sich zusammen. Vermutlich sahen wir
beide eine Mumie in einem Jadegewand aus dem Sarkophag steigen und sich zu den
Munteren Mönchen im Narrengewand hinausschleppen. Meister Li blickte wütend auf
uns herunter. »Mist«, fauchte er. »Hört auf, mit euren offenen Mündern Fliegen
zu fangen und erinnert euch daran, wozu ihr einen Kopf habt .«
    Er setzte sich auf den Rand
des Sargs und sah sich mit blitzenden Augen in dem goldenen Raum um. Er war
wütend.
    »Ochse, was geschah mit
deiner Fackel, als du das Loch durch die Eisenplatte und durch die Mauer
geschlagen hattest ?« fragte er.
    »Wieso...? Nichts ist
geschehen«, erwiderte ich. »Genau. Die Flamme wurde nicht zum Loch gezogen,
denn im Grab war bereits frische Luft«, sagte er. »Das heißt, es gibt einen
anderen Zugang, und der ist vor kurzem benutzt worden. Wir kommen zu spät. Die
Gauner waren bereits hier, und das heißt, wir müssen unsere Meinung, daß es
Gauner sind, ändern .«
    Für mich war das zu hoch,
aber der Prinz blickte plötzlich interessiert auf.
    »Sie haben kein Gold und
keine Juwelen, nicht einmal Tou Wans Leichengewand mitgenommen«, sagte er
verwundert.
    »Also, was haben sie
genommen ?« fragte Meister Li. Wir blieben stumm, und
er beantwortete die Frage selbst. »Sie haben einen Stein genommen«, sagte
Meister Li. »Alle Inschriften deuten darauf hin, daß der Lachende Prinz einen
Stein angebetet hat. Als er starb, hat er mit Sicherheit dafür gesorgt, daß der
Stein mit ihm begraben wurde. Also nahm man ihn aus dem Schrein und legte ihn -
vielleicht - in seine Hände. Dann kleidete man ihn in das Jadegewand. Jade
gehört zu den härtesten Materialien. Wenn jemand versucht, die Jade zu
zerbrechen, könnte der Stein beschädigt werden. Wer immer uns auch
zuvorgekommen ist, er hat deshalb einfach die ganze verdammte Mumie
mitgenommen. Und welche Art Leute würden Gold und Juwelen unbeachtet lassen, um
einen heiligen Stein in die Hand zu bekommen ?« »Irgendein religiöser Orden«, sagte der Prinz. Meister Li zuckte mit den
Schultern. »Etwas anderes fällt mir im Augenblick auch nicht ein«, sagte er.
»Denkt daran, daß der Lachende Prinz eine Art religiösen Orden gegründet hat,
deren Mitglieder er die Munteren Mönche nannte, und es fällt auf, daß von
seinem gesamten Hofstaat nur die Munteren Mönche nicht mit dem Prinzen in den
Tod gegangen sind - zumindest haben wir ihre Skelette nicht gefunden.
Angenommen, er hat dafür gesorgt, daß der Orden die Jahrhunderte überdauert .«
    Ich fand die Sprache wieder
und fragte: »Warum ?« Meister Li streckte ärgerlich die
Arme aus: »Woher soll ich das wissen ?« sagte er. »Wir
können davon ausgehen, daß er einen Stein angebetet hat, obwohl wir nicht wissen warum . Lachen und Tanzen anstelle von Gebeten ist in
alten vorscha-manistischen Religionen nicht unbekannt, und ich muß mich einfach
über die ständige Wiederholung der Zahl fünf in seinen eigenartigen Formeln
wundern. Die Fünf ist in vielen alten und modernen dunklen Kulten eine heilige
Zahl. Die primitiven Yu-ch'ao zum Beispiel wohnen, wie man sagt, in fünfeckigen
Baumhäusern und opfern fünfköpfigen Dämonen in fünfzelligen Tempeln .«
    Meister Li bot uns Wein aus
seinem Weinschlauch an, aber wir lehnten ab. Er trank gierig und lange und
wischte sich dann die Lippen mit dem Bart.
    »Prinz, im Augenblick weiß
ich nicht weiter«, sagte er offen, »die Vorstellung, daß wir es vielleicht
nicht mit normalen Gaunern zu tun haben, wirft alles über den Haufen. Mit
Sicherheit weiß ich nur, daß wir diesem seltsam überwältigenden Ton und der
Zerstörung der Prinzentrift auf den Grund gehen müssen. Und das heißt, Ochse
und ich werden mit Boden- und Pflanzenproben nach Ch'ang-an gehen, um sie
analysieren zu lassen, und dann werden wir uns den größten Tonmeister im Reich
schnappen. Ihr habt inzwischen ein Problem .«
    Er wies mit dem
Weinschlauch auf die Schatzkammern.

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