Meister Li und der Stein des Himmels
»Dann werde ich mir einen alten
unerschütterlichen Felsen zum Freund wählen«, sagte sie.
»Und wenn der Felsen nur
ein Traum ist?« »Dann bin ich ein Schatten in dem Traum«, sagte sie leise.
Meister Li trank seinen Tee, lehnte sich zurück und rechnete in Gedanken nach.
»Also für jeden zehn Punkte ?« fragte
Das Oberhaupt der
Prostituierten bestrafte sich mit einem leichten Schlag auf die Wange. »Ich
habe falsch zitiert«, sagte sie, »Chang Chou hat geschrieben, die
Leidenschaft stützt den Hintern des Universums, und ich habe gesagt entblößt. Für mich also höchstens acht Punkte.« »Das heißt, du hast nur
einen Vorsprung von Sechsundsechzig Punkten«, sagte Meister Li.
»Siebenundsechzig«,
verbesserte sie entschieden. »Also Kao, was kann ich für dich tun ?«
»Bring mich zu einem
Tonmeister«, sagte er, »ich habe gehört, daß der beste dein Gast ist, wenn er
in die Stadt kommt .«
Sie nickte. »Mondkind«,
sagte sie sachlich, »hast du ihn schon einmal gehört ?«
»Nein, aber man sagt, er
ist ein Phänomen, wie man es in tausend Jahren nur einmal erlebt«, sagte
Meister Li. »Offen gesagt, bezweifle ich, daß es jemals einen Tonmeister
gegeben hat, der es mit Mondkind aufnehmen könnte«, sagte sie. »Wie schnell
brauchst du ihn ?«
»Sehr schnell. Ich stehe
vor einem Problem, das mich verwirrt .«
Sie lehnte sich zurück und
betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen. »Mondkind ist zur Zeit nicht
hier«, sagte sie. »Niemand, der bei Verstand ist, würde die Einladung annehmen,
vor dem König von Chao aufzutreten. Aber Mondkind machte sich unbekümmert auf
den Weg .« Meister Li stieß einen leisen Pfiff aus. Das
Oberhaupt der Prostituierten dachte nur noch ans Geschäft. »Der König ist nicht
das Problem. Wenn überhaupt jemand,
dann wirst du mit diesem
zwölfbäuchigen Wunder fertig. Aber Mondkind zu bändigen, ist etwas anderes .« »Ich habe gehört, er ist etwas schwierig«, murmelte
Meister Li.
»Multipliziere das, was du
gehört hast, mit tausend«, sagte sie. »Ich kann dir allerdings den einzigen
Menschen der Welt ausleihen, dem er wie ein Lamm folgt .«
Sie klingelte mit einem
Glöckchen, flüsterte dem Diener, der erschien, etwas ins Ohr, und er verschwand
wieder. »Was würdest du als Gegenleistung haben wollen ?« fragte Meister Li.
»Deinen Einfluß und deinen
Schreibpinsel«, sagte sie. Sie stand auf und ging wie ein Mann mit großen
Schritten auf und ab; dabei schlug sie die Faust gegen die flache Hand. »Li
Kao, Ungeduld gefällt dem Himmel zwar nicht, aber es ist beinahe zweitausend
Jahre her, daß unsere Gilde himmlische Zeichen erhielt, die darauf hinwiesen,
daß unsere Schutzgöttin ersetzt wurde, und wir werden allmählich ungeduldig.
Wir haben den Schutz von Goldene Lotusblüte verloren, der größten Hure, die die
Welt je gekannt hat, und nicht eine der Ersatzgöttinnen, die man uns aufs Auge
gedrückt hat, war in der Lage, die Geldbörse eines Kunden lok-kerzumachen,
selbst wenn er völlig blau und kopfüber in ein Faß Sirup gefallen war«, sagte
das Oberhaupt der Prostituierten gereizt. »Nichts läuft mehr, wie es sollte!
Der Hof hält uns mit Geheimdienstaufgaben in Atem, die praktisch nichts
einbringen. In den letzten fünf Monaten hat es fünf Ausbrüche von Pocken
gegeben, und jetzt versuchen die Palasteunuchen die Aufmerksamkeit des Kaisers
von ihrem Treiben abzulenken und starten schon wieder einen moralischen
Feldzug. Goldene Lotusblüte hätte sich das nicht gefallen lassen«, erklärte die
hohe Dame erregt, »sie wäre von einem Stern zum andern über den Großen
Sternenfluß marschiert und hätte eine Audienz beim Erhabenen Jadekaiser
verlangt! Wir brauchen eine Schutzpatronin von ihrem Format und keinen
willfährigen Wächsklumpen .«
Sie wirbelte herum, fegte
eine dünne Porzellantasse vom Tisch und sah zu, wie sie auf dem Boden zerbrach.
»Li Kao, ich leihe dir das Mädchen, das Mondkind unter Kontrolle halten kann,
solange du willst. Als Gegenleistung möchte ich nur, daß du eine Bittschrift am
kaiserlichen Hof einreichst, damit man im Himmel offiziell eine neue
Schutzpatronin der Prostituierten beantragt .« »Du
überschätzt meinen Einfluß bei Hof«, sagte Meister Li trocken.
»Du unterschätzt meine
Fähigkeiten beim Erpressen«, erwiderte sie, »der Kaiser kann eine Bittschrift
von Meister Li nicht ignorieren, und ich werde dafür sorgen, daß ein ganzes
Heer von Priestern und Würdenträgern hinter dir steht. Außerdem ist
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