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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Möglichkeit, meine Reaktion auf Klagende Morgendämmerung zu erklären.
    Die Würdenträger und die
meisten Aristokraten träumen davon, zur besten aller möglichen Welten
zurückzukehren: zum strengen Feudalismus, den Konfuzius so nachdrücklich
preist. Der Schlüssel dazu ist die absolute Unterwerfung der Bauern, und einige
der Methoden sind sehr einfallsreich. Zu den besten gehört eine Mitgiftordnung,
die verlangt, daß eine Braut mit einem beträchtlichen Geschenk an Geld oder
Land in ihr neues Zuhause kommt.
    Praktisch bedeutet das,
Bauern, die mit einer Überzahl von Töchtern geschlagen sind, müssen zwischen
Hunger oder
    Säuglingsmord wählen. Die
Mädchen können auf den Feldern ihr Brot nicht ganz verdienen; die Eltern können
es sich nicht leisten, sie zu behalten, können sie aber auch nicht verheiraten
- ihnen bleibt nur die Möglichkeit, sie sofort nach der Geburt zu ertränken.
Und dann können die Aristokraten schreien: »Welche unmenschliche Roheit! Wer
kann verlangen, daß solchen Schweinen ihre Ställe gehören sollen ?« Bauernmädchen, die man am Leben läßt, lernen sehr bald,
daß die Eltern ihretwegen hungern und daß eine Heirat nicht in Frage kommt.
Wenn sie nicht ganz häßlich sind, laufen sie oft davon und werden
Prostituierte, um ein bißchen Geld nach Hause schicken zu können. Dann toben
die Würdenträger: »Seht euch diese unmoralischen Dirnen an! Wer kann verlangen,
daß solche Schweine überhaupt Rechte haben sollen ?« Es
ist ein wunderbares System ohne jeden Makel. Jeder, der sagt, daß die
Würdenträger in Sachen Moral von manchen der Dirnen einiges lernen könnten,
bekommt einen Angelhaken, ein Messer, eine Kerze und unbegrenzte Zeit, um sein
Benehmen in einem Sumpf in Siam zu bessern. Als ich die Hand von Klagende
Morgendämmerung streifte, spürte ich Schwielen. Es würde Jahre dauern, bis die
harten Stellen völlig verschwanden. In meinen Augen waren sie hübscher als
Perlen. Das erklärt es zwar nicht völlig, aber etwas stand fest: Ich war
verliebt.
    Meister Li grinste mich an.
»Oh, wenn ich nur noch einmal neunzig wäre«, sagte er wehmütig, »Ochse, versuch
auf der Reise deine Pfoten von der jungen Dame zu lassen. Klagende
Morgendämmerung, hau ihm hin und wieder mit einem Prügel auf den Kopf. Er wird dir
für die Aufmerksamkeit dankbar sein .«
    »Sind wir uns einig ?« fragte das Oberhaupt der Prostituierten.
    »Wir sind uns einig«, sagte
Meister Li, »ich verspreche nichts, aber ich werde mein Möglichstes für
Kaiserin Wu tun. Falls das nicht gelingt, werde ich alles tun, was in meiner
Kraft steht, um euch eine fähige Schutzpatronin zu beschaffen. Kannst du
jemanden beim Postdienst erpressen? Wir haben es gewissermaßen eilig .«
    »Es soll geschehen«, sagte
das Oberhaupt der Prostituierten.
    *
    Die Sonne ging gerade über
dem Schlangenpark auf, als Meister Li und ich in den Ställen der Post
eintrafen. Klagende Morgendämmerung erwartete uns. Ihre Kleidung verriet
Erfahrung im richtigen Reisen: strapazierfähige Männerhosen, hohe Lederstiefel,
ein Obergewand, das vor Dornen und Regen gleichermaßen schützte, und eine
geölte Regenmütze. Ihre anderen Kleider und Besitztümer trug sie in einem
ordentlichen Bündel auf dem Rücken. Meister Li lobte sie, und sein Lob
kletterte noch um zehn Punkte, als sie zum Pferd ging und den Bogen aus der
Halterung am Sattel zog und ihn mit einer Grimasse spannte. Sie probierte sechs
oder sieben Bogen aus, ehe sie einen fand, der ihr gefiel, und als sie sich in
den Sattel schwang, wußte ich, daß sie sehr viel besser reiten konnte als ich.
Ich fühlte mich nur auf einem Wasserbüffel wohl. Im Augenblick stolzierte ich
wie ein Pfau herum.
    Nur jemand mit dem Einfluß
der hohen Dame konnte das arrangiert haben. Ich bekam das offizielle Wams und
die Mütze, auf denen die kaiserlichen Drachen prangten, und einen Postsack, der
mit dem Staatswappen versiegelt war. Meister Li zeigte mir, wie ich die
Flaggenstange in der dafür vorgesehenen Halterung neben dem Steigbügel
befestigte. Die Tore flogen auf, mir gelang ein respektabler Fanfarenstoß auf
der Silbertrompete, und wir galoppierten in einer Staubwolke hinaus, wobei wir
erfreulich viele Fußgänger auseinandertrieben. Ich schaffte sogar die Kurve,
ohne aus dem Sattel zu fallen.
    Meister Li überließ mir das
Tempo - vermutlich sollte ich mich abreagieren-, und ich sonnte mich in der
Geschwindigkeit, die nur jemandem möglich ist, der unter der Flagge des
(ierfalken

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