Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
Vom Netzwerk:
schnell ab, daß
sie wie ein Wasserfall auf die Feinde herabregneten. Die Goldenen Mädchen saßen
auf Pferden, und ihnen folgten im Laufschritt Fußsoldaten in disziplinierter
Formation.
    Ich lief die Treppe wieder
hinunter und berichtete Meister Li, daß der König irgendeinen Ausgang durch die
Ställe hatte. Er strahlte.
    Die Festlichkeiten des
Nachmittags gingen mit dem Haushofmeister in der Rolle des Gastgebers weiter.
Schauspieler und Akrobaten traten auf, gefolgt von Kreiseltänzerinnen aus
Sogdian. Sie trugen leuchtendrote Hosen und drehten sich wirbelnd auf großen
rollenden Bällen. Berge von Speisen wurden aufgetragen; die Hälfte der Gerichte waren zivilisiert, die andere Hälfte barbarisch. Auf
die traditionellen Entenfüße, Schinken mit Pekingdatteln und Schwarzmorcheln
gedünstet, folgte ein exotischer mongolischer Eintopf. Wild, Kaninchen, Huhn,
Fisch, Feigen, Äpfel, Pfirsiche, Quark, Butter, Gewürze und Kräuter waren mit
riesigen Mengen Kandiszucker gekocht. Ich fand es ganz gut, stellte jedoch
fest, daß sowohl Meister Li als auch Klagende Morgendämmerung den Kandiszucker
ausspuckten. Der König, seine Goldenen Mädchen und die Soldaten kehrten bei
Sonnenuntergang zurück. Sie waren bester Laune, und die Soldaten trugen auf
Lanzen eine neue Sammlung abgeschlagener Köpfe. Der König und die Goldenen
Mädchen zogen sich in ihre Gemächer zurück, badeten und kleideten sich um. Dann
war es soweit. Der Höhepunkt der Festlichkeiten stand bevor: Mondkind.
    Ich gebe zu, ich war
skeptisch. Ein Mensch, der aussieht wie Mondkind, kann das »Lied der Lerche«
ankündigen, dann mit »Quak, quak, quak« seine Zuhörer beglücken und wird
stürmischen Beifall bekommen.
    Wir versammelten uns in
einer großen steinernen Halle. Der Haushofmeister machte viel Wesens darum, die
Wände und den Boden abzuklopfen, um zu beweisen, daß keine Tricks bei der
folgenden Vorführung im Spiel waren. Dann trugen Diener einen einfachen
Holztisch herein und stellten ihn in eine Ecke des Saals. Andere Diener
brachten zwei Papierfächer, einen kleinen Wasserkrug, vier Becher und stellten
alles auf den Tisch. Dann erschien Mondkind. Er hielt eine einfache Schallmuschel
in den Händen, wie sie die Mädchen in meinem Dorf benutzen. Sein Blick
schweifte über die Menge, bis er Klagende Morgendämmerung entdeckte. Er nickte
ihr zu, und ich vermutete, er werde etwas für sie vorführen. Die Diener
klappten einen großen Wandschirm auseinander und stellten ihn vor den Tisch.
Dann löschten sie die Laternen, so daß es im Saal beinahe dunkel wurde. Die
Unterhaltung der Zuhörer ging leise weiter, während Mondkind sich vorbereitete.
Dann ertönten hinter dem Wandschirm drei laute Schläge, und im Saal wurde es
still.
    Ich weiß von Tonmeistern
nur soviel, daß die größten unter ihnen Töne hervorbringen, die es eigentlich
nicht gibt. Irgendwie gelingt es einem Tonmeister, Geräusche zu simulieren, und
die Zuhörer stellen sich alles übrige vor. Meister Li
hatte beinahe ein Jahrhundert lang die größten Tonmeister seiner Zeit erlebt
und sagte später, Mondkind werde eine Legende werden. Über seine Künste werde
man noch zehntausend Jahre sprechen. Ich konnte ihm nicht widersprechen. Ich
erinnere mich, daß ich einen leisen Windhauch hörte und mich umdrehte, um zu
sehen, ob jemand ein Fenster geöffnet hatte. Ich wurde rot, als ich begriff,
daß Mondkind hinter dem Schirm die Papierfächer bewegte. Danach hörte ich mit
wachsendem, ehrfürchtigem Staunen, wie Mondkind für Klagende Morgendämmerung
ein Bauernlied vorführte. Ich kann unmöglich etwas beschreiben, was man mit
eigenen Ohren gehört haben muß, aber ich machte mir hinterher schnell Notizen,
und ich will sie an dieser Stelle einfügen.
    *
    Eine leichte Brise trägt
Nachtgeräusche, Geräusche aus einem Dorf herein... Hund bellt laut, Geräusch
scheint durch ein Fenster zu kommen... Mann brummt direkt an meinem Ohr, wälzt
sich im Bett... das Bellen wird schwächer, zwei Paar Sandalen gehen am Fenster
vorbei, Lachen und ein Rülpsen... In der Ferne ruft ein Wirt »gute Nacht !« und schließt sein Lokal... der Wind dreht, weht von einem
Fluß herüber... Wassergeräusche, das Klatschen von Bootsstangen ... fernes
leises Lachen, ein Mann singt ein unanständiges Lied, der Wind dreht sich und
trägt die Töne davon... Hund beginnt wieder zu bellen, direkt in meine Ohren, ohrenbetäubend .. . Mann schimpft, steht auf, tastet sich
zum Fenster... ein lauter, kurzer

Weitere Kostenlose Bücher