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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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unsere Zuständigkeit fällt! Der
    Himmelssohn wird ihn und
seinen vertrottelten Komplizen vorläufig bestrafen. Aber ich werfe wohl besser
einen Blick auf das Seelenregister, um sicherzustellen, daß eine irdische
Strafe nicht im Widerspruch zu einer göttlichen steht .« Ich bezweifle, daß der Registrator Vergangener Existenzen so etwas
normalerweise erlaubt hätte. Aber er war zutiefst erschüttert. Sanft wie ein
Lamm erlaubte er Meister Li, einen Augenblick in dem Raum zu verbringen, wo
sich das Register befand. Dann geleitete er uns hastig durch das Labyrinth
zurück, öffnete eine Tür, schob uns in einen Hof hinaus und schlug die Tür
hinter uns zu.
    Meister Li bog sich vor
Lachen. »Ihr seid vielleicht ein Gespann !« jubelte er,
»es ist eine Ehre, mit so außergewöhnlichen jungen Herren zu reisen. Also
besuchen wir einen Freund von mir und dann Tou Wan, die Gemahlin des Lachenden
Prinzen .«
    Ich mußte Mondkind
bewundern. Er hatte gerade festgestellt, daß seine früheren Inkarnationen den
Weltrekord an Schlechtigkeit brachen, aber er benahm sich, als sei nichts
geschehen und sagte mit ruhiger, fester Stimme: »Auf die Gefahr hin, dumm zu
klingen: Warum besuchen wir eigentlich den aristokratischen Meuchelmörder nicht
selbst?« fragte er vernünftig.
    Meister Li setzte sich
stumm in Bewegung. Schließlich räusperte er sich und sagte: »Das wäre nicht
ganz einfach. Nach den Eintragungen im Seelenregister ist es dem Lachenden
Prinzen gelungen, sich den Dienern der Hölle zu entziehen. Er ist nie in der
Hölle angekommen .«
    Rückblickend glaube ich, es
war sehr gut, daß Mondkind und ich uns in Gedanken mit der Vorstellung
beschäftigten, daß eine wahnsinnige Mumie aus ihrem Grab stieg und in den Raum
schlich, wo Klagende Morgendämmerung hilflos im Bett lag. Es lenkte unsere
Aufmerksamkeit von den Einzelheiten der Hölle ab, und manche dieser
Einzelheiten waren sehr unangenehm. Wir näherten uns dem Fluß How Nai-ho, der
die Grenze zwischen der Ersten und der Zweiten Hölle bildet. Drei Brücken
überspannen den Fluß: eine aus Gold - sie wird von Göttern und ihren Gesandten
benutzt, die hier zu Besuch sind, eine zweite aus Silber, über die die
Tugendsamen schreiten, und die dritte, eine wacklige Bambusbrücke ohne
Geländer, ist für die Sünder bestimmt. Die Sünder schreien vor Entsetzen, wenn
sie versuchen, den Fluß zu überqueren. Sie fallen unvermeidlich, und
schreckliche Hunde und Schlangen aus Bronze jagen und fangen sie mit weit
aufgerissenen Mäulern. Das aufgewühlte Wasser färbt sich blutig rot. Aber das
ist nur ein Vorgeschmack auf das Kommende, denn die zerfleischten Körper
schwimmen ans andere Ufer, wo wunderbarerweise alle Wunden heilen, und lachende
Dämonen treiben die Sünder an die Plätze, wo die Qualen erst richtig beginnen.
    Meister Li schritt
geradewegs auf die goldene Brücke zu. Mondkind schrie: »Macht Platz für den
Herrn Li von Kao, den Gesandten des Himmelssohnes !« und wir gingen an zornigen Dämonen vorbei über die goldene Brücke, als gehöre
sie uns. In der Zweiten Hölle werden unehrliche Vermittler, seien es nun Männer
oder Frauen, und unwissende oder gewissenlose Ärzte bestraft. Es ist keine
schreckliche Folter, aber der Geruch ist widerwärtig. Mondkind und Meister Li
preßten sich Taschentücher an die Nase. Ich war an Ställe gewöhnt, und deshalb
störte mich der Gestank nicht allzu sehr. Wir kamen an langen Reihen von Gruben
entlang. Meister Li blieb schließlich an einer stehen, in der ein dicker Mann
mit einem traurigen schlaffen Gesicht bis zum Hals in weichem Dung eingegraben
war. Trotz des Gestanks roch er Menschenfleisch und öffnete langsam die Augen.
»Also Li Kao, wenn es um das Land geht, das ich dir verkauft habe...«
    »Nichts dergleichen«,
winkte Meister Li ab. »Ich hatte keine Ahnung, daß der Boden alkalihaltig war!
Möge der Himmel beurteilen, ob ich... äh... möge der Himmel beurteilen ... äh
... ach, Scheiße !« »Nun ja, du mußt eigentlich
Fachmann auf dem Gebiet sein«, sagte Meister Li fröhlich, »die Yamakönige haben
eigentlich ein mildes Urteil gefällt, wenn man bedenkt, daß du deinem Vater
auch ein Stück von diesem Land verkauft hast .« Der
Dicke begann zu weinen, und die Tränen gruben blasse Rinnen in die braune
Kruste, unter der sein Gesicht beinahe verschwand. »Du wirst sie doch nicht
darauf aufmerksam machen, oder ?« schluchzte er, »du
kannst dir nicht vorstellen, was die Neokonfuzianer der Hölle antun! Sie

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