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Meister und Margarita

Meister und Margarita

Titel: Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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heraufgezogen, des vierzehnten Tages im Frühlingsmonat Nisan.
    Erst bedeckt sie mit ihrem dicken Bauch den Kahlen Berg, wo die Scharfrichter voll Hast die Verurteilten erstechen, danach den Tempel in Jerschalajim, anschließend kriecht sie in rauchigen Bächen vom Hügel herab. Und dort, die Untere Stadt überflutend, versickert sie in Fenstern, treibt die Menschen aus den krummen Gassen in die Häuser hinein. Sie beeilt sich nicht, ihr Nass zu spenden, sondern sie spendet allein ihr Licht. Kaum wird das dunstige schwarze Gequirl durch feurige Flammen aufgeschlitzt, entreißt sich der dichtesten Finsternis das gewaltige Tempelungetüm mit seinem Dach aus schillernden Schuppen. Doch schon erlöschen sie und der Tempel versinkt im dunklen Abgrund. Immer wieder wächst er heraus und bricht wieder ein. Und jedes Mal wird der Sturz vom Donner des Unheils begleitet.

    Andere zitternde Lichtwellen rufen aus dem Abgrund den auf dem westlichen Hügel stehenden, dem Tempel gegenüberliegenden Palast von Herodes dem Großen hervor, und die furchtbaren augenlosen goldenen Standbilder schießen empor zum schwarzen Firmament und strecken ihm ihre Arme entgegen. Aber immer noch versteckt sich das himmlische Feuer, und das schwere Donnern treibt die schimmernden Götzen zurück ins Dunkel.
    Die Flut ergoss sich ganz unerwartet, da ward das Gewitter zum Wirbelsturm. An derselben Stelle, da um die Mittagszeit – neben der Marmorbank im Garten – der Statthalter und der Hohepriester miteinander geredet hatten, zersplitterte – wie von einer Kanonensalve – die Zypresse – ein schwaches Hölzchen. Zusammen mit dem wässrigen Staub und Hagel trug es zum Balkon – unter die Säulen – ausgerupfte Rosen, Magnolienblätter, feines Gezweig und schwirrenden Sand. Der Wirbelsturm hatte die Beete zerschunden.
    Zu jenem Zeitpunkt befand sich unter den Säulen ein einziger Mensch: Pontius Pilatus.
    Diesmal saß er nicht in seinem Sessel, sondern streckte sich aus auf einer Liege vor einem niedrigen kleinen Tisch voller Speisen und Weinkrüge. Zu Füßen des Statthalters rote blutige Rinnsale zwischen tönernen Scherben. Der Diener deckt noch vor dem Gewitter dem Statthalter die Tafel. Wird von dessen Blicken verlegen. Hat wohl irgendetwas verbrochen? Also schleudert Pilatus einen Steinkrug zu Boden, dass dieser am Mosaik zerschellt.
    – Warum siehst du mich denn nicht an, wenn du mir servierst? Oder bist du ein Dieb?
    Das schwarze Gesicht des Afrikaners wird grau. In den Augen ein Todesschrecken. Er zittert, dass beinahe auch noch ein zweiter Krug zu Bruch geht. Aber die Wut des Statthalters verfliegt genauso schnell wie sie entbrannt ist. Der Neger will noch die Scherben aufsammeln, den Wein aufwischen. Da winkt Pilatus. Der Sklave verschwindet. Die Lache bleibt.

    Doch jetzt, während des brausenden Sturms, hielt sich der Afrikaner an der Nische im Schatten, neben dem Standbild eines weißen entblößten Weibs mit gesenktem Kopf. Nur nicht unnötig in Erscheinung treten, aber auch bereit sein, auf den kleinsten Ruf hin zur Hand zu gehen.
    Der Statthalter – im gewittrigen Zwielicht – auf der Liege – schenkte sich selbst ein. Trank aus der Schale in langen Zügen. Griff immer wieder nach dem Brot. Zerbröselte und aß es in kleinen Bissen. Genehmigte sich ab und zu eine Auster. Kaute an einer Zitronenscheibe und trank abermals.
    Im Gebrüll des Wassers, im Donnergeläut, das den Palast zu zerstampfen drohte, im Hagelschlag, auf den Stufen hämmernd, ging das Raunen des Statthalters unter, Pilatus’ verhaltenes Selbstgespräch. In den unsteten Zuckungen der himmlischen Lichter versank sein Gesicht mit diesen vom Wein und von Schlaflosigkeit geschwollenen Augen, sein Gesicht voll rasender Ungeduld. Nicht nur schaute er auf die weißen Rosen, die in der roten Pfütze schwammen, sondern auch wiederholt zum Garten hin – dem wässrigen Staub und Sand entgegen – und wartete, wartete gespannt.
    Eine Weile verstrich. Der rieselnde Schleier wurde dünner. Und wie sehr der Sturmwind auch wütete – er legte sich langsam. Die Zweige knarrten nicht mehr und brachen nicht. Das Geblitz und Gedonner ließen nach. Statt der violetten weiß verbrämten Decke trieb über Jerschalajim hinweg eine gewöhnliche graue Nachhutwolke. Das Gewitter riss es jetzt in Richtung des Toten Meers.
    Schon unterschieden sich die Geräusche: das Prasseln des Regens – das Rauschen des Wassers, das entweder durch die Rinnen gesprudelt kam, oder auch direkt die

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