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Meister und Margarita

Meister und Margarita

Titel: Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Ausländer – der ohne Anzug – dreht ihr also für eine Weile die Luft ab und lässt sie dann wieder los. Sobald Annuschka atmen kann, lächelt sie:
    – Ach, das Hufeisen? –, sagt sie. – Moment! Ach, dann ist das Ihr Hufeisen gewesen! Und ich sehe: Da liegt’s! In so ’ner Serviette … Hab’s gleich aufgehoben, nicht dass es wegkommt! Man kann ja nie wissen heutzutage!
    Der Ausländer kriegt das Hufeisen samt der Serviette und ergeht sich gleich in tausend Verbeugungen, schüttelt Annuschka innig die Hand und dankt von Herzen in folgenden Ausdrücken (mit starkem Akzent):
    – Ich bin Ihnen zutiefst verbunden, verehrte Madame. Dieses Hufeisen besitzt für mich einen ideellen Wert! Gestatten Sie mir, dafür, dass Sie die Güte hatten, es an sich zu nehmen, Ihnen als Belohnung zweihundert Rubel zu offerieren! – Und sogleich zieht er aus der Westentasche die Geldscheine und steckt sie Annuschka zu.
    Die lächelt aus allen Leibeskräften und ruft:
    – Ach, besten Dank, besten Dank! Merci! Merci!
    Der spendable Ausländer aber gleitet im Nu etliche Treppenabsätze herab und ruft, bevor er draußen ist, von unten (diesmal ohne jeden Akzent):
    – Pass mir bloß auf, alte Hexe! Wenn du noch einmal was Fremdes findest, gib’s gefälligst bei der Miliz ab, anstatt es mitgehen zu lassen!
    Mit Geläut und Geschwirr in den Ohren (von all den Ereignissen auf der Treppe) schreit Annuschka reflexartig weiter:
    – Merci! Merci! Merci! –, dabei ist der Ausländer längst verschwunden.
    Nun verschwand auch die Limousine im Hof: Azazello überreichte Margarita Wolands Geschenk, fragte, ob sie bequem sitze, und verabschiedete sich von ihr. Gella gab ihr einen dicken Kuss auf die Wangen, und der Kater einen vornehmen auf die Hand. Die Begleitenden winkten noch dem leblos und unbewegt in der Ecke des Wagens zusammengesunkenen Meister, dann auch der Krähe und lösten sich auf (um sich das Treppensteigen zu sparen). Der gefiederte Chauffeur machte die Lichter an und lenkte sein Gefährt in die Toreinfahrt, vorbei an dem wie im Todesschlaf erstarrten Menschen. Und die Lichter der großen schwarzen Limousine verloren sich unter den anderen Lichtern auf der rastlosen lärmenden Gartenstraße.
    Eine Stunde später. Im Keller des kleinen Hauses auf einer der vielen Arbatgassen. Im ersten Zimmer, wo alles noch genauso geblieben war wie vor jener fürchterlichen Nacht des vergangenen Herbstes. Das Tischchen mit dem Samttuch. Der Schirmleuchter. Die Vase mit den Maiglöckchen. Margarita saß und weinte leise vor Glück nach den überstandenen Prüfungen. Das vom Feuer verunstaltete Exemplar lag aufgeschlagen. Daneben der Stoß unberührter Hefte. Das kleine Haus schwieg. Im Nachbarraum – auf dem Sofa – gehüllt in den Hausmantel aus der Klinik – schlief fest und mit ruhigem Atem der Meister.
    Genug geweint. Margarita nahm die unberührten Hefte zur Hand. Hier die Passage: Zuletzt gelesen vor der Begegnung mit Azazello. Damals unter der Kreml-Mauer. Sie war nicht müde und ließ ihre Finger zärtlich über die Blätter gleiten. So wird ein Schmusekätzchen gestreichelt. Sie betastete das Typoskript. Bewunderte es von allen Seiten. Mal seinen Anfang, mal sein Ende. Aber ist das nicht alles nur Lug und Trug? Gleich zerlaufen die Hefte. Gleich wacht sie auf in ihrem Schlafzimmer in der Villa. Gleich geht sie zum Fluss und wirft sich ins Wasser. Nein, keine bösen Gedanken mehr. Schon viel zu lange währten die Schmerzen. Gar nichts zerlief. Der allmächtige Woland war wirklich allmächtig. Jetzt hatte sie Zeit – sogar bis zum Morgengrauen –, um das Papier rascheln zu lassen, es zu küssen und wieder und wieder zu lesen:
    – Das Dunkel, das vom Mittelmeer schlich, überzog die dem Statthalter verhasste Stätte … Ja, das Dunkel …

Kapitel 25
Der Statthalter versucht Judas von Kirjath zu retten
    Das Dunkel, das vom Mittelmeer schlich, überzog die dem Statthalter verhasste Stätte. Schon verschwanden die hängenden Brücken, die den Tempel mit dem grauenerregenden Antonia-Turm verbanden. Vom Himmel senkte sich der Abgrund und übergoss die beflügelten Götter über der Rennbahn, den Hasmonäer-Palast mit seinen Schießscharten, die Märkte, die Karawansereien, die Gassen, die Teiche … Schon verschwand Jerschalajim, die große Stadt, wie nie gewesen. Alles rings verschlang dieses Dunkel, welches jedem Lebendigen in Jerschalajim und der Umgebung zuvor Angst gemacht. Eine seltsame Wolke war vom Meer gegen Ende des Tages

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