Meister und Margarita
die Börse.
– Dreißig Tetradrachmen.
Der Statthalter schmunzelte:
– Nicht gerade viel.
Afranius schwieg.
– Wo ist der Gemeuchelte?
– Das weiß ich nicht –, sagte ruhig und würdevoll der ewige Kapuzenträger. – Wir werden am Morgen mit der Suche beginnen.
Pilatus erbebte und ließ den Riemen der Sandale, der nicht gehorchen wollte.
– Dass er tot ist, steht aber fest?
Worauf er eine kühle Antwort erhielt:
– Der Hegemon weiß, dass ich fünfzehn Jahre in Judaä im Dienst bin, seit Valerius Gratus. Ich muss keine Leiche zu Gesicht bekommen, um mit Sicherheit sagen zu können, dass jemand tot ist. Drum sei Euch berichtet, dass der Mann namens Judas, stammend aus Kirjath, vor einigen Stunden erdolcht worden ist.
– Verzeih mir, Afranius –, erwiderte Pilatus. – Ich bin noch nicht wach, daher sprach ich also. Mein Schlaf ist schlecht. – Der Statthalter lächelte. – Stets sehe ich im Traum einen mondenen Strahl. Das ist vergnüglich, stell es dir vor. Dann gehe ich diesen Strahl entlang. Nun, was sind deine Anhaltspunkte in der Angelegenheit? Und wo gedenkt ihr, den Toten zu finden? Nimm Platz, oh Kommandant meines Geheimdienstes.
Afranius nickte, schob den Sessel zum Bett und setzte sich, wobei sein Schwert etwas rasselte.
– Ich gedenke, ihn in der Nähe der Olivenpresse im Garten von Gat-Schmanim zu finden.
– Verstehe. Und warum ausgerechnet dort?
– Hegemon, nach meiner Einschätzung wurde Judas nicht in der Stadt ermordet, aber auch nicht zu weit von hier. Vielleicht unterhalb von Jerschalajim.
– In meinen Augen bist du ein großer Kenner dieses Fachs. Ich weiß nicht, wie es in Rom aussieht, doch in den Kolonien bleibst du unerreicht. Wie lautet in dem Fall deine Begründung?
– Auf keinen Fall lasse ich den Gedanken zu –, setzte Afranius leise fort, – dass Judas sich innerhalb der Stadtmauer zwielichten Gestalten ergeben hätte. Auf der Straße ist es ein Ding der Unmöglichkeit, jemanden heimlich zu erdolchen. Es sei denn: Er wurde zuvor in einen dunklen Keller gelockt. Doch meine Leute haben bereits in der Unteren Stadt nach ihm Ausschau gehalten. Er wäre mit Sicherheit entdeckt worden. Nein, er ist nicht in Jerschalajim. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Ist der Mord fernab der Stadt erfolgt, lässt sich die Eile nicht erklären, mit welcher das Bündel beim Hohenpriester eintraf. Darum wurde er offenbar in der Nähe der Stadt erstochen. Irgendwie ist es gelungen, ihn zu ködern.
– Doch auf welche Art? Das erscheint mir ganz unbegreiflich.
– Ja, Statthalter, das ist wohl das größte Rätsel. Und ich bilde mir nicht ein, es eindeutig zu lösen.
– In der Tat: höchst geheimnisvoll! An einem festlichen Abend verlässt ein Frommer aus unersichtlichen Gründen die Stadt, nimmt nicht am Pessach-Mahl teil und stirbt. Wer oder was könnte ihn gelockt haben? Vielleicht ein Weib? –, fragte der Statthalter in plötzlicher Eingebung.
Afranius gab ruhig und überlegt zur Antwort:
– Auf gar keinen Fall, Hegemon. Diese Möglichkeit scheint mir ausgeschlossen. Betrachten wir es doch einmal logisch: Cui bono? Eigentlich doch nur jenen vagabundierenden Sonderlingen. Einem Kreis, zu dem keine Frauen zählen. Um zu heiraten, Statthalter, ist Geld vonnöten. Desgleichen, um ein Kind zu gebären. Doch um mit weiblicher Hilfe einen Menschen zu erstechen, ist nicht nur Geld vonnöten, sondern sehr viel Geld. Diese Landstreicher haben keine solchen Mittel. Nein, die Beteiligung einer Frau ist ganz undenkbar, Hegemon. Mehr noch: Derlei Spekulationen führen bloß auf die falsche Fährte, behindern die Ermittlung und lenken mich ab.
– Was du sagst, klingt vollkommen richtig, Afranius –, entgegnete Pilatus. – Ich habe eben nur laut gedacht.
– Leider in eine verkehrte Richtung, oh Statthalter.
– Aber was sonst? –, rief Pilatus aus und betrachtete das Gesicht Afranius’ voll lebhafter Neugier.
– Ich vermute, wieder einmal das Geld.
– Du bist einfach brillant! Doch wer hat ihm in der Nacht, außerhalb der Stadt, Geld angeboten, und wofür?
– Nein, Statthalter, es muss anders gewesen sein. Ich habe nur eine Erklärung dafür, und wenn sie nicht zutrifft, dann wird mir auch keine bessere einfallen. – Afranius rückte näher und flüsterte: – Judas wollte sein Geld an einem sicheren, nur ihm selbst bekannten Ort vergraben.
– Eine raffinierte Erklärung. Ja, so muss es gewesen sein. Jetzt begreife ich: Er wurde nicht von den Menschen, doch
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