Meister und Margarita
Umgebung in der Kellerwohnung nach vorheriger Vertreibung der Plaudertasche Aloisius Mogarytsch. Kurzum, Wolands Bekanntschaft – kein Grund, um die Nerven zu verlieren. Alles so, wie es eben sein muss.
Sie ging in den Nebenraum, vergewisserte sich, dass der Meister fest und ruhig schlief, löschte die überflüssige Tischlampe und nahm an der anderen Wand die Couch, die mit dem alten und abgeriebenen Laken bedeckt war. In Minutenschnelle nickte sie ein, ohne an diesem Morgen etwas zu träumen. Es schwiegen die Zimmer der Kellerwohnung, es schwieg das kleine Haus des Bauherrn, in dem dumpfen Gässchen herrschte Stille.
Im Gegensatz dazu, um dieselbe Zeit, sprich: in aller Herrgottsfrühe, an diesem Samstag, in einem Moskauer Amtsgebäude, war ein ganzes Stockwerk hellwach. Die Fenster zum großen asphaltierten Platz, der von langsamen dröhnenden Wagenkolonnen geputzt wurde, erstrahlten im vollen Licht und zerstachen sogar die aufgehende Sonne.
Das Stockwerk ermittelte im Fall Woland, und in zehn Büros hatten sämtliche Lampen die ganze lange Nacht gebrannt.
Schon seit gestern (seit Freitag) liegt der Fall auf der Hand: Immerhin wird das Varieté geschlossen (aufgrund des Verschwindens der gesamten Leitung sowie des Unfugs am Abend zuvor, während der berühmt-berüchtigten Séance ). Das Problem ist nur: Jeden einzelnen Augenblick geht im rastlosen Stockwerk neues Material ein.
Nun gilt es, in dieser dubiosen Angelegenheit (die in jeder Hinsicht nach Teufelswerk riecht, zumal in Kombination mit Hypnosekunststückchen und ganz unverhüllt krimineller Energie), all die vertrackten und verwickelten Ereignisse an verschiedenen Orten von Moskau zu einem einzigen Klumpen zusammenzukneten.
Der Erste, der die Ehre hat, das elektrisch leuchtende rastlose Stockwerk zu besuchen, ist Arkadij Apollonowitsch Semplejarow, Präsident der Akustischen Kommission.
Seine Wohnung im Haus am Kamenny Most. Es ist Freitag. Das Abendessen beendet. Auf einmal klingelt das Telefon. Eine männliche Stimme im Hörer verlangt nach Arkadij Apollonowitsch. Die Gemahlin von Arkadij Apollonowitsch sagt grimmig, Arkadij Apollonowitsch fühlt sich unwohl, liegt schon im Bett und kann unmöglich ans Telefon kommen. Nun, Arkadij Apollonowitsch kommt trotzdem ans Telefon. Denn auf die Frage, wer Arkadij Apollonowitsch sprechen will, gibt die Stimme etwas recht Knappes zur Antwort.
– Einen Augenblick … Eine Minute … –, lallt die ansonsten einigermaßen arrogante Gattin des Präsidenten der Akustischen Kommission und saust in Windeseile ins Schlafzimmer, um Arkadij Apollonowitsch aus dem Bett zu holen, darin er sich in höllischen Qualen wälzt und der gestrigen Séance gedenkt (gefolgt von einer nächtlichen Szene mit anschließendem Rauswurf der Saratower Nichte).
Es dauert länger als einen Augenblick, aber doch kürzer alseine Minute (um genau zu sein: fünfzehn Sekunden), bis Arkadij Apollonowitsch, mit nur einem Pantoffel (auf dem linken Fuß) und in bloßer Wäsche am Telefon steht und hineinstammelt:
– Am Apparat … Ja, ich höre, ich höre …
Die Gemahlin vergisst alle üblen Vergehen wider die eheliche Treue, welcher der arme Arkadij Apollonowitsch überführt wurde, lugt mit angsterfülltem Gesicht hinter der Korridortür hervor, fuchtelt mit einem Pantoffel herum und flüstert:
– Zieh den Pantoffel an … Du erkältest dich … –, worauf sich Arkadij Apollonowitsch mit dem nackten Fuß energisch zur Wehr setzt, seiner Frau furchtbare Augen macht und in den Hörer hineinmurmelt:
– Aber ja, aber ja doch … Ich verstehe … Bin gleich bei Ihnen …
Den ganzen Abend verbringt Arkadij Apollonowitsch auf jenem Stockwerk, wo ermittelt wird. Ein unerfreuliches Gespräch, ein zermürbendes Gespräch. Nicht nur über die elende Séance und das Gekeife in der Loge, sondern en passant und in aller Offenheit über Miliza Andrejewna Pokobatko von der Jelochowskaja-Straße, über die Nichte aus Saratow und über vieles andere mehr – eine unbeschreibliche Peinlichkeit.
Arkadij Apollonowitsch ist intelligent und gebildet: ein gescheiter und qualifizierter Zeuge jener widerlichen Séance. Seine perfekte Beschreibung des maskierten und mysteriösen Magiers, der beiden ihm assistierenden Halunken, die Bestätigung, dass der Name des Gesuchten zweifelsfrei »Woland« lautet, erweisen sich als äußerst sachdienlich und bringen die Ermittlungen sehr viel weiter. Der Abgleich seiner Angaben mit manchen anderen (so auch mit denen
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