Meister und Margarita
saß auf dem Bänkchen in der Nähe.
– Und Sie sind sich absolut sicher, dass er nicht an dem Drehkreuz war, als Berlioz hinfiel?
– Absolut sicher. Er stand nicht davor. Er saß entspannt.
Keine weiteren Fragen mehr. Der Verhörspezialist erhebt sich, reicht Iwan die Hand, wünscht ihm gute Besserung und spricht die Hoffnung aus, schon sehr bald wieder Verse von ihm zu lesen.
– Nein –, antwortet Iwan leise, – ich werde keine Verse mehr schreiben.
Der Mann schmunzelt taktvoll und erlaubt sich, festzustellen, der Poet sei im Augenblick leicht deprimiert. Nun, das wird schon sehr bald vergehen.
– Nein –, sagt Iwan, nicht zum Verhörspezialisten, vielmehr in die Ferne, zum verdämmernden Firmament, – das wird nie vergehen. Die Verse, die ich schrieb, waren schlechte Verse. Dessen bin ich mir jetzt bewusst.
Der Mann geht weg mit einer Menge höchst brisanter Informationen. Dem Faden des Geschehens rückwärts folgend, wird es jetzt möglich, zu dem Punkt zu gelangen, an welchem die ganze Chose begann. Hierbei kann es sich eigentlich nur um den Mord am Patriarchenteich handeln. Natürlich wurde der unselige Vorsitzende der Massolit weder von Iwan noch von jenem Karierten vor die Tram gestoßen. Rein physisch hat niemand nachgeholfen. Und trotzdem steht fest: Berlioz sprang (oder stürzte) vor die Räder einzig deshalb, weil er unter Hypnose stand.
Ja, es gibt genug Material. Langsam weiß man, wen es zu jagen gilt und auch wo, aber wie es der Zufall so will: Niemand lässt sich auch nur im Entferntesten schnappen. In der vermaledeiten Wohnung Nr. 50 ist jemand, das muss noch einmal gesagt werden. Mal reagiert sie (die Wohnung) mit angeknackster oder näselnder Stimme auf Telefonate, mal öffnet sich ein Fenster, und daraus ertönt obendrein noch ein Grammophon. Doch wird sie betreten, ist keiner dort. Dabei sucht man sie immer wieder auf, sogar zu verschiedenen Tageszeiten, durchkämmt sie, ein Netz in der Hand, und überprüft jeden einzelnen Winkel. Das Objekt steht schon lange unter Beobachtung: Nicht nur der Weg durch die Einfahrt zum Hof, sondern auch der hintere Ausgang. Mehr noch: Die Schornsteine auf dem Dach werden rund um die Uhr bewacht. Tja, die Wohnung Numero 50 ist tückisch, aber was willst du dagegen schon machen.
Und so geht das bis Mitternacht von Freitag auf Samstag, als Baron Maigel, ein geladener Gast, im schwarzen Frack und in Lackschuhen, zur Wohnung Nr. 50 stolziert. Es ist zu hören, wie er Einlass bekommt. Genau zehn Minuten später besucht man die Wohnung (ohne vorher zu klingeln): Nicht nur die Gastgeber sind nicht da, sondern (und das ist wirklich kurios) auch vom Baron fehlt jede Spur.
Und so geht das, wie schon gesagt, bis zum Morgengrauen am Samstag. Nun treffen neue Informationen ein, von größtemInteresse, übrigens. Am Flughafen Moskau landet eine Sechspersonenmaschine von der Krim. Unter den Passagieren befindet sich ein recht merkwürdiger: ziemlich jung, mit wild wachsendem Stoppelbart, seit etwa drei Tagen nicht gewaschen, die Augen gerötet und sorgenvoll, ohne Gepäck und im seltsamen Aufputz: Kosakenmütze und Filzmantel, darunter ein Nachthemd und neue blaue frisch gekaufte Lederpantoffeln. Sobald er die Flugzeugtreppe verlässt, wird er abgefangen, denn man erwartet ihn. Und nach einer kurzen Weile erscheint der unvergessliche Direktor des Varieté, Stepan Bogdanowitsch Lichodejew, vor der Ermittlung. Er spart nicht mit vielen weiteren Details. Nun stellt sich heraus, dass dieser Woland als Artist verkleidet ins Varieté gelangte, nachdem er Stjopa in Hypnose versetzt und weiß Gott wie von Moskau fortgeschafft hat – über weiß Gott wie viele Kilometer hinweg! Es gibt also zusätzliches Material, aber das macht die Sache nicht einfacher, eher, umgekehrt, komplizierter. Denn es steht fest: Eine Person mit derlei spaßigen Tricks auf Lager zu fangen, ist kein Klacks. Im Übrigen wird Lichodejew, entsprechend seiner eigenen Bitte, in eine gepanzerte Zelle gesperrt. Und vor die Ermittlung tritt Warenucha. (Er wurde soeben zu Hause verhaftet, wo er sich nach fast achtundvierzig Stunden unbegründeter Abwesenheit auf einmal wieder blicken ließ.)
Obwohl er Azazello versprochen hat, immer nur die Wahrheit zu sagen, beginnt der Administrator abermals mit einer faustdicken Lüge. Doch Hand aufs Herz, wer will es ihm verübeln? Es ging ja unlängst ausdrücklich um Lügen und Frechheiten am Telefon. Und jetzt redet er ohne Zuhilfenahme des erwähnten
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