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Meister und Margarita

Meister und Margarita

Titel: Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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hat seine simplifizierende Befreiungstheologie überhaupt mit dem Christentum in seiner spirituellen Dimension zu tun?
    Und die Kernaussage, zusammengefasst in den Worten: »Das größte menschliche Laster ist die Feigheit«? – Es ist zumindest überlegenswert, inwieweit sie sich tatsächlich auf Pontius Pilatus beziehen lässt: Der Statthalter bemüht sich bis zuletzt ja redlich um Jeschuas Freilassung (und das, obwohl er dessen Meinung nicht teilt!). Nur sind ihm durch die herrschenden Gesetze letzten Endes die Hände gebunden, was ihn eigentlich in den Rang einer klassischen Tragödiengestalt erhebt.
    Die Anti-Helden
    Nun, die Heroisierung und Idealisierung des Bulgakow’schen Liebespaars erweisen sich in vielen Punkten als Projektion. Doch wenn die beiden Protagonisten gar keine Helden sind, was sind sie dann? Welche Lesart bietet sich sonst noch an, wenn die politische und religiöse – wohlgemerkt, nicht verschwinden, sondern ein wenig in den Hintergrund rücken?
    Die hier empfohlene Lesart wäre die poetische: Der Roman ist nämlich ein grandioses episches Sprachkunstwerk, ein Großstadtpoem im Geist der Moderne. Und der Meister und seine Margarita sind darin eben keine Helden, vielmehr eigenwillige Anti-Helden, die vom Autor in all ihrer Zerrissenheit und menschlichen Schwäche dargestellt werden. Sie haben keine Verklärungen nötig, sind nun einmal so, wie sie sind.

    Der Roman als Dichtung
    Die poetische Lesart wird dadurch gestützt, dass Bulgakow durchgehend intensiv Mittel benutzt, die vornehmlich in der Lyrik zu Hause sind: unterschiedlich wirkende Rhythmen, Klänge, Reime, Refrains und Metaphern.
    Grob lässt sich sein Roman in zwei rhythmische Felder unterteilen: in die Moskau- und die Jerschalajim-Kapitel. Während die Schilderung der teuflischen Eskapaden in der Sowjetmetropole einen urbanen und immer wieder synkopisch gebrochenen Takt anschlägt, voller greller und bunter Klangfiguren, ist der Puls der Pilatus-Passagen sehr viel dumpfer und feierlicher: Hier scheint das Geschehen von einem antiken düsteren Metrum getragen zu sein und ist durchsetzt mit dunklen Farben und monotonen Wortwiederholungen.
    Die phonetische Orchestrierung reicht von markanten Alliterationen, wie zum Beispiel:
    … wo in Vorahnung der Abendkühle lautlose Krähen ihre Kreise kritzelten …
     
    oder:
    … am Hippodrom, immer bedrohlicher brodelnd …
     
    über Reimhäufungen, wie etwa:
    Bei ihrem Näherkommen – wenn zugenommen – wenn golden erglommen jenes Gestirn …
     
    bis hin zu magischen Invokationen mit Echowirkung:
    Ni-sa … –, brachte Judas hervor, nicht so wie sonst, gesanglich und klangvoll, sondern tief, tadelnd, enttäuscht. Nie sagte er jemals wieder ein Wort. Und wie er niedersank, prallte sein Leib gegen die Erde, dass diese erdröhnte.
     
    Die markantesten dieser Stellen werden zusammen mit einer Transkription des russischen Originaltextes im Anmerkungsteil vorgestellt, um die Bemühungen des Übersetzers, sie auch im Deutschen zu bewahren, nachvollziehbar zu dokumentieren.

    Die ungewöhnliche Sprache
    Doch das stärkste poetische Mittel, das Bulgakow exzessiv einsetzt, ist die zugespitzte Bildlichkeit. Sie entreißt die Erzählung komplett der Sphäre des bürgerlich Realistischen, verfremdet sie und nutzt dabei die gesamte Palette der literarischen Moderne.
    So schnappt der von Marcus Rattenschreck gepeitschte Jeschua nicht einfach nach Luft, sondern »verschluckt sich« an ihr ( zachlebnulsja vozduchom ). Die Flügel der Schwalbe »schnaufen« ( fyrknuli ) über dem Kopf des Hegemons. Der Statthalter hebt nicht, sondern »schleudert« ( vybrosil vverch ) den rechten Arm hoch hinaus. Sein Antlitz ist dem Himmel nicht zugewandt, sondern gegen ihn »gestemmt« ( uperšis’ licom v nebo ). Die Trompete eines römischen Soldaten glänzt nicht, sondern »flammt« in der Sonne ( s pylajuščej na solnce truboju ). Die Liebe erscheint nicht nur, sondern »springt« ( vyskočila ) zwischen den Meister und Margarita. Die Löwenschnauzen auf der Rüstung Rattenschrecks tun den Augen nicht weh, sondern »verätzen« ( vyedal ) sie regelrecht. Es ist nicht etwa eine weibliche Stimme, die im Hörer weint, sondern die Hörmuschel selbst, die in Schluchzer ausbricht und beteuert, sie sei Rimskis Frau (na čto trubka, zarydav, otvetila, čto ona i est’ žena). Das Buch des Meisters hat keinen Rücken, vielmehr – seltsam genug – einen »Buckel« ( knižka gorbom ). Die schwarzen Rosse vor des

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