Meister und Margarita
sein Text »Der militante Betbruder« nannte. Vertieft in das Lesen über mich selbst, bemerkte ich nicht, wie sie vor mich trat (ich hatte die Tür zu schließen vergessen) – in den Händen ein nasser Regenschirm und ebenso nasse Zeitungen. Ihre Augen schleuderten feurige Blitze, ihre Arme zuckten und waren eiskalt. Als Erstes begann sie, mich abzuküssen. Dann sprach sie heiser und mit der Faust auf die Tischplatte klopfend:
»Ich werde Latunski vergiften.«
Iwan krächzte nur etwas konfus, aber sagte nichts.
– Und dann diese langen freudlosen Tage. Der Roman war fertig. Es gab nichts zu tun. Was blieb uns anderes, als auf dem Teppich neben dem Ofen zu sitzen und ins Feuer zu starren? Doch jetzt trennten wir uns häufiger. Sie ging spazieren. Und bei mir geschah etwas Kurioses (wie ja nicht selten in meinem Leben) … Auf einmal hatte ich einen Freund. Ist das auszudenken? – Ich, der ich so menschenscheu bin! Es gehört zu meinen Besonderheiten: Ich meide die Leute, bin öfter misstrauisch und voller Argwohn. Und bei all dem schafft es plötzlich jemand, derüberhaupt nicht vorgesehen war – und dazu noch aussieht wie sonst was –, mir unbedingt ins Gemüt zu dringen – ausgerechnet der gefällt mir am meisten.
In dieser gottverdammten Zeit wurde das Törchen unseres Gartens aufgemacht. Ich weiß noch genau: Ein angenehmer sonniger Tag. Sie war nicht daheim. Durch das Törchen trat ein Mann herein, marschierte ins Haus, um irgendetwas mit dem Bauherrn zu klären, kam zurück in den Garten und schloss mit mir ungewöhnlich schnelle Bekanntschaft. Er sagte, er sei ein Journalist. Und gefiel mir so sehr, dass ich ihn auch jetzt noch – man stelle sich das vor! – bisweilen vermisse. Je länger, desto mehr! Er besuchte mich von da an. Ich erfuhr: Er ist ledig, wohnt in der Nähe, in einer ganz ähnlichen kleinen Wohnung, die ihm viel zu eng ist – und so weiter. Doch er bat mich nie um Gegenbesuch. Meine Lebensgefährtin fand ihn im höchsten Maße abstoßend. Ich verteidigte ihn. Und sie sagte mir: »Tu, was du willst. Nur sage ich dir, dieser Mensch macht auf mich den schlechtesten Eindruck.«
Ich lachte laut. Aber womit hatte er mich eigentlich angezogen? Ist es nicht so, dass ein Mensch ohne Geheimfächer in seinem Schrank ziemlich fade ist? Nun, Aloisius (ich vergaß zu erwähnen, dass mein neuer Bekannter Aloisius Mogarytsch hieß) besaß ein solches Geheimfach im Schrank. Noch nie hatte ich einen getroffen und werde auch niemals einen treffen, der so klug wäre wie Aloisius. Begriff ich in einem Zeitungsartikel irgendwelche Feinheiten nicht, erklärte er sie mir buchstäblich im Nu, ohne dass ihn eine solche Erklärung die geringste Mühe gekostet hätte. Und auch bei den Belangen und Fragen des Lebens. Doch nicht genug! – Am meisten nahm mich etwas anderes für ihn ein: Seine grenzenlose Liebe zur Literatur. Er wurde nicht ruhig, bis er endlich meinen Roman zu lesen bekam, und verschlang ihn von der ersten bis zur letzten Seite. Über seine Lektüre äußerte er sich im Übrigen sehr, sehr schmeichelhaft. Was ihn nicht davon abhielt,mir in allen Details – fast so, als wäre er dabei gewesen – die Bemerkungen des Redakteurs, den Roman betreffend, wiederzugeben. Und in hundert von hundert Fällen traf er mitten ins Schwarze. Darüber hinaus gelang es ihm – und zwar mit unfehlbarer Präzision, deren Unfehlbarkeit ich gleich einsah –, mir klarzumachen, aus welchem Grund mein Roman nicht veröffentlicht werden konnte. Er sagte es mir geradeheraus: »Das und das Kapitel wird nicht gehen …«
Die Flut von Artikeln hörte nicht auf. Über die ersten von ihnen lachte ich. Aber je häufiger sie erschienen, umso stärker veränderte sich meine Einstellung ihnen gegenüber. Die nächste Stufe war Staunen. Etwas auf seltene Art Verlogenes und Schwammiges klebte an jeder Zeile, trotz ihres harschen und sicheren Tons. Ich wurde die leise Ahnung nicht los, dass die Autoren all dieser Kritiken schrieben, was sie nicht schreiben wollten, und dass ihr Zorn auch nur daher rührt. Schließlich die dritte und letzte Stufe – Angst. Nein, nicht Angst vor diesen Essays, verstehen Sie? Sondern vor ganz, ganz anderen Dingen, die weder mit ihnen noch mit dem Roman auch nur das Geringste zu tun haben. So bekam ich Angst vor der Dunkelheit. Kurzum, eine Phase psychischen Krankseins. Oft (besonders während des Einnickens) krabbelte ein kalter elastischer Krake mit seinen Fühlern direkt an mein Herz. Ich
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