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Meister und Margarita

Meister und Margarita

Titel: Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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neben ihm stand. Doch als der Schwamm seine Lippen berührte, verbiss er sich darin mit kehligem Knurren. Nach einpaar Sekunden erschlaffte auch sein Leib, soweit es die Schnüre gestatteten.
    Der Kapuzenträger folgte dem Scharfrichter und dem Centurio Schritt auf Schritt – und ihm nach der Kommandant der Tempelwache. Vor dem ersten Pfahl machte er halt, beschaute aufmerksam den blutüberströmten Jeschua, betastete mit der weißen Hand seinen Fuß und sagte zu den Begleitern:
    – Tot.
    Dies wiederholte sich an den beiden anderen Pfählen. Daraufhin gab der Tribun dem Centurio ein Zeichen, drehte sich um und verließ den Gipfel – zusammen mit dem Kommandanten der Tempelwache und dem Kapuzenträger. Es wurde halb dunkel, und der schwarze Himmel von Blitzen zerfurcht. Auf einmal verspritzte er grelle Gluten. Und der Schrei des Centurio: »Die Kette lösen!«, ertrank im Gedröhn. Beglückt rannten die Soldaten den Hügel herab und setzten dabei ihre Helme auf.
    Finsternis überzog Jerschalajim.
    Doch die Sturzflut kam ganz unerwartet und erwischte die Centurie mitten auf dem Rückzug. Die Wassermengen prasselten herab – und zwar derart heftig, dass die Soldaten, die den Hügel herunterliefen, von rauschenden Strömen eingeholt wurden. Und sie rutschten aus auf dem matschigen Lehm, fielen hin und eilten zur ebenen Straße, auf der – kaum noch sichtbar durch den schwirrenden Schleier – die Reiterei, klatschnass, nach Jerschalajim sprengte. Einige Minuten später blieb in der dampfenden Sturmesbrühe auf dem Hügel ein einziger Mensch zurück.
    Das gestohlene Messer schwenkend (jetzt war es ja doch zu etwas gut!), von den glitschigen Felsvorsprüngen gleitend, sich an allem haltend, was unter die Augen kam, manchmal auf allen vieren kriechend, strebte er allein zu den Pfählen. Mal verschwand er in tiefster Nacht, mal erstrahlte er im schwankenden Licht.
    Endlich an den Pfählen angelangt, bis an die Knöchel im Wasser steckend, legte er mit Gewalt den schwer gewordenen, triefenden Tallit ab. Warf sich, mit bloßem Hemd bekleidet, zu Jeschuas Füßen. Er durchtrennte die Seile an den Schenkeln, stellte sich auf den unteren Querbalken, umschlang Jeschua und befreite dessen Arme aus den oberen Fesseln. Der nackte feuchte Leib stürzte und drückte Levi zu Boden. Gerade wollte er sich ihn auf die Schultern laden, doch ein Gedanke machte ihn stocken. Er ließ den Körper liegen – in all dem Wasser – mit nach hinten gelehntem Kopf und gebreiteten Armen – und torkelte auf den im lehmigen Brei immer wieder auseinanderfahrenden Beinen zu den anderen beiden Pfählen. Und auch dort zerschnitt er die Schnüre, sodass zwei Körper herabstürzten.
    Einige Minuten verstrichen. Und auf dem Gipfel des Hügels blieben zurück nur diese zwei Körper und drei blanke Pfähle. Die Flut brauste, schleuderte die Leichen hin und her.
    Doch zu jener Stunde waren dort oben Levi und Jeschuas Leib schon fort.

Kapitel 17
Ein verrückter Tag
    Freitag, also am nächsten Morgen nach der vermaledeiten Séance, ging der gesamte Personalstab des Varieté (der Buchhalter Wassilij Stepanowitsch Lastotschkin, zwei Rechnungsführer, drei Stenotypistinnen, die beiden Kassiererinnen, die Hausboten, die Theaterdiener mitsamt den Putzfrauen – kurzum, alle, die anwesend waren) nicht der gewohnten Beschäftigung nach. Alle saßen sie an dem Fenster, das auf die Gartenstraße hinausging, und betrachteten, was dort unten, an der Fassade, gerade los war. An der besagten Fassade klebten Tausende Menschen in doppelter Reihe, die sich bis zum Kudrinskaja-Platz hinzog. Ganz vorne tummelten sich um die zwanzig stadtbekannte Kartenhaie.
    In der Schlange herrschte äußerste Aufregung, was die Neugier weiterer Passanten erweckte. Hier wurden die allerkühnsten Behauptungen über die gestrige unerhörte Vorstellung der Schwarzen Magie zum Besten gegeben. Und es waren ebensolche Behauptungen, die den Buchhalter Wassilij Stepanowitsch – er hatte das Spektakel nicht miterlebt – zutiefst verunsicherten. Die Theaterdiener erzählten sich wilde Sachen: Es soll wirklich Damen gegeben haben, die nach der Vorführung, unsittlich gekleidet, über die Straßen gelaufen kamen, und dergleichen mehr. Der stille und schüchterne Wassilij Stepanowitsch machte, wenn er diese Mären hörte, nur große Augen und wusste definitiv nicht, was da zu tun sei. Und dennoch musste einer was tun, und zwar nicht irgendwer, sondern er: Von allen Mitarbeitern des Varieté hatte er

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