Meistererzählungen
sie wurde, de sto mehr kam eine Trauer und Beklemmung über mich. Es schien mir, ich sei mit meinem Märchenkind an einen unrei nen Ort geraten, und ich begann darauf zu warten, daß sie mir winke und fortzugehen begehre.
Der Maler Zündel stand jetzt abseits und hatte sich eine Zigarre angezündet. Er beschaute sich die Gesichter und blickte auch aufmerksam zu dem Diwan hin. Da hob Maria den Blick, ich sah es genau, und sah ihm eine kleine Weile in die Augen. Er lächelte, sie aber blickte ihn fest und gespannt an, und dann sah ich ihn ein 121
Auge schließen und den Kopf fragend heben, sie aber leise nicken.
Da wurde mir schwül und dunkel im Herzen. Ich
wußte ja nichts und es konnte ein Scherz, ein Zufall, eine kaum ge wollte Gebärde sein. Allein ich tröstete mich damit nicht. Ich hatte gesehen, es gab ein Einverständnis zwischen den bei den, die den ganzen Abend kein Wort miteinander gespro chen und sich fast auff allend voneinander ferngehalten hat ten.
In jenem Augenblick fi el mein Glück und meine kin-dische Hoff nung zusammen, es blieb kein Hauch und kein Glanz davon übrig. Es blieb nicht einmal eine reine, herzliche Trauer, die ich gern getragen hätte, sondern nur eine Scham und Enttäuschung, ein widerwärtiger Geschmack und Ekel. Wenn ich Maria mit einem frohen Bräutigam oder Liebhaber gesehen hätte, so hätte ich ihn beneidet und mich doch ge freut. Nun aber war es ein Verführer und Weiberheld, dessen Fuß noch vor einer halben Stunde mit dem der braunäugigen Frau gespielt hatte. Trotzdem raff te ich mich zusammen. Es konnte immer noch eine Täuschung sein, und ich muß-
te Ma ria Gelegenheit geben, meinen bösen Verdacht zu widerle gen.
Ich ging zu ihr und sah ihr betrübt in das frühlinghaf-te, liebe Gesicht. Und ich fragte: »Es wird spät, Fräulein Maria, darf ich Sie nicht heimbegleiten?«
Ach, da sah ich sie zum erstenmal unfrei und ver-stellt. Ihr Gesicht verlor den feinen Gotteshauch und 122
auch ihre Stimme klang verhüllt und unwahr. Sie lachte und sagte laut: »O ver zeihen Sie, daran hatte ich gar nicht gedacht. Ich werde abge holt. Wollen Sie schon gehen?«
Ich sagte: »Ja, ich will gehen. Adieu, Fräulein Maria.«
Ich nahm von niemand Abschied und wurde von niemand aufgehalten. Langsam ging ich die vielen Treppen hinunter, über den Hof und durch das Vorderhaus.
Draußen besann ich mich, was nun zu tun sei, und kehrte wieder um und ver barg mich im Hof hinter einem leeren Wagen. Dort wartete ich lang, beinahe eine Stunde. Dann kam der Zündel, warf ei nen Zigarrenrest weg und knöpfte seinen Mantel zu, ging durch die Einfahrt hinaus, kam aber bald wieder und blieb am Ausgang stehen.
Es dauerte fünf, zehn Minuten, und immerfort verlangte es mich, hervorzutreten, ihn anzurufen, ihn einen Hund zu heißen und an der Kehle zu packen. Aber ich tat es nicht, ich blieb still in meinem Versteck und wartete. Und es dauerte nicht lang, da hörte ich wieder Schritte auf der Treppe, und die Türe ging, und Maria kam heraus, schaute sich um, schritt zum Ausgang und legte still ihren Arm in den des Ma lers. Rasch gingen sie miteinander fort, ich sah ihnen nach und machte mich dann auf den Heimweg.
Zu Hause legte ich mich ins Bett, konnte aber keine Ruhe fi nden, so daß ich wieder aufstand und in den 123
Englischen Garten ging. Dort lief ich die halbe Nacht herum, kam dann wieder in mein Zimmer und schlief nun fest bis in den Tag hinein.
Ich hatte mir nachts vorgenommen, gleich am Morgen fortzureisen. Dafür war ich nun aber zu spät erwacht und hatte also noch einen Tag hinzubringen. Ich packte und zahlte, nahm von meinen Freunden schriftlich Abschied, aß in der Stadt und setzte mich in ein Kaff eehaus.
Die Zeit wollte mir lang werden und ich sann nach, womit ich den Nachmittag verbringen könne. Dabei fi ng ich an, mein Elend zu fühlen. Seit Jahren war ich nicht mehr in dem scheußli chen und unwürdigen Zustand gewesen, daß ich die Zeit fürchtete und verlegen war, wie ich sie umbringe. Spazieren gehen, Gemälde sehen, Musik hören, ausfahren, eine Partie Billard spielen, lesen, alles lockte mich nicht, alles war dumm, fad, sinnlos.
Und wenn ich auf der Straße um mich blickte, sah ich Häuser, Bäume, Menschen, Pferde, Hunde, Wagen, alles unendlich langweilig, reizlos und gleichgültig. Nichts sprach zu mir, nichts machte mir Freude, erweckte mir Teilnahme oder Neugierde. Während ich eine Tasse Kaff ee trank, um die Zeit hinter mich zu bringen und eine Art von Pfl
Weitere Kostenlose Bücher