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Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia

Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia

Titel: Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Falkengrund.“ Sie wandte den Blick ab. „Es war wirres Zeug.“
    „Seit wann bist du auf dem Schloss?“
    „Seit einem Jahr. Aber das weißt du. Du warst schon da, als ich in die Schule eintrat.“
    Madokas Miene blieb hart. „Und der Unfall geschah vor zwei Jahren?“
    „Vor mehr als zwei Jahren, ja. Warum fragst du das?“
    „Du kanntest Falkengrund also schon vorher?“
    „Nein, ich kannte es nicht. Nur das Schild an der Straße, nur den Namen. Ich war nie auf dem Schloss.“
    „Aber du hast von Falkengrund geträumt.“
    „Ja. Der Unfall ist genau unterhalb des Schlosses passiert, auf der Landstraße. Ich …“ Melanie stockte und schwieg.
    „Irgendetwas passt nicht zusammen, nicht wahr?“, sagte Madoka. „Du hast von Falkengrund geträumt, ohne es je gesehen zu haben. Was genau hast du geträumt?“
    Madoka reichte ihr die Hand. Nach einigem Zögern ergriff Melanie sie und zog sich daran nach oben. „Verrate mir eines“, meinte Melanie leise. „Wolltest du mich gerade töten?“
    „Ich wollte dich ohnmächtig schlagen, damit bei denen, die mich beobachten, die Lichter ausgehen“, erwiderte die Asiatin.
    Melanie ließ Madokas Hand los. „Du hasst mich wirklich, nicht wahr? Obwohl ich dir nichts getan habe.“
    „Ich hasse die, die hinter deinen Augen sind und mich anstarren.“ Um ihre Mundwinkel zuckte es. „Wir werden jetzt einen kleinen Spaziergang machen, und du erzählst mir, was du damals geträumt hast.“
    „Du siehst Geheimnisse, wo keine sind“, sagte Melanie tonlos.
    „Man sollte Erinnerungen nicht wegschließen“, meinte Madoka etwas zusammenhanglos. „Dazu sind sie nicht da.“ Sie machte eine herrische Geste mit dem Kopf, und Melanie setzte sich in Bewegung. Sie gingen weiter in den Wald hinein.
    Melanie fing stockend an zu erzählen – und nach einer Weile stellte sie befremdet fest, dass sie keine Angst mehr vor der Japanerin hatte. Sie verabscheute sie noch immer, aber sie fürchtete sie nicht mehr.
    Jetzt hatte sie Angst vor ihrer eigenen Erinnerung.

5
    Mai 2002, der Traum
    Woher wusste sie, wohin sie zu laufen hatte?
    Etwas zog sie mit sich, gab ihr einen Anhaltspunkt, und es war kein Licht, sondern ein Geräusch. Eine Art Rascheln wie von Papier oder einer Plastikfolie. Es ging den Hang hinauf. Hier gab es keinen Weg, nur den Raum zwischen den Bäumen. Sie waren unendlich schwarz, diese Stämme, wie Pforten in eine andere Welt, und dazwischen waberte eine flimmernde, lebendige Finsternis. Die Luft konnte man fühlen. Es war kein Wind, den sie spürte, sondern die Luft selbst, und sie war prickelnd, als fließe ein schwacher Strom. Wenn sie einen der Baumstämme berührte, hatte sie dieselbe Empfindung, nur stärker. Wenn ihre Füße über den Boden gingen, bekamen sie jedes Mal einen winzigen Stromschlag.
    „Wo sind Sie?“, rief sie, und ihre Worte wurden ohne Echo von der Stille aufgesaugt. Melanie summte leise vor sich hin, weil sie den Eindruck hatte, ein elektrisches Sirren begleite ihre Stimme. Es wurde lauter, wenn sie lauter sprach, kaum hörbar, wenn sie murmelte. Sie hob die Hände und legte ihre Handflächen gegeneinander – sie schienen sich anzuziehen, und es knackte leise, wenn sie sich berührten.
    Elektrizität. Magnetismus. Auch die Okkultisten und Parapsychologen sprachen manchmal von solchen Dingen. War das Jenseits eine elektromagnetische Welt? Ein Schatten aus Energie?
    Von weither glaubte sie einen Ruf zu hören, und sie folgte ihm. Sie stolperte nicht, obwohl sie sehr schnell ging und kaum etwas sehen konnte. Die Baumstämme zogen rasend schnell an ihr vorüber, dann wurden es weniger, und nach kurzer Zeit fand sie sich unter freiem Himmel wieder.
    Es war ein Himmel, wie sie ihn noch nie gesehen hatte.
    Der zunehmende, beinahe volle Mond hing über den zerrissenen Wipfeln und strahlte mit einer solchen flirrenden, wirbelnden Intensität auf sie herab, dass sie glaubte, darunter erblinden zu müssen. Sein Licht machte Geräusche, prasselnde, zischende, prickelnde Geräusche, und es kribbelte und kitzelte dort, wo es auf ihre nackte Haut fiel. Es war ein Licht, an dem man sich betrinken konnte, das einen high machte, wenn man es zu lange auf sich einwirken ließ. Und die Sterne waren nicht weniger fühlbar. Ihr stechendes Strahlen war das von winzigen Nadelspitzen, die sich immer tiefer in das Fleisch des Betrachters senkten, je länger man unbeweglich unter dem Firmament stand. Es war ein angenehmes Gefühl, doch gleichzeitig hatte es etwas

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