Meleons magische Schokoladen
der nächste Angriff bevor?“
„Schlafe“, sagte er und küsste sie aufs Haar.
Er roch nach frisch gewaschenem Stoff und Rosmarinseife und aus irgendeinem Grund vertiefte das ihre Müdigkeit. Vielleicht war es aber auch ein weiterer Zauberer. Jedenfalls sank ihr Kopf gegen seine Schulter. Keine halbe Minute später hob er sie hoch und trug sie nach vorne, wo Rochas schon sehr ordentlich aufgeräumt hatte.
„Sie muss schlafen“, sagte er. „Meinst du, wir könnten dich für zwei oder drei Stunden mit all dem alleine lassen?“
„Wenn du sicher bist, dass Noshar hier so lange nicht auftauchen wird…“
„Das wird er nicht“, erwiderte Meleon. „Denn ich habe ihm den Stein von Aligistra gezeigt. Das zwingt ihn zum Rückzug und wird ihn außerdem ermuntern, noch einmal darüber nachzudenken, ob er den Kampf tatsächlich wagen sollte.“
Rochas starrte ihn an, als suche er nach äußeren Anzeichen dafür, dass Meleon den Stein bei sich hatte.
„Woher hast du ihn?“
„Ich habe ihn vom Turm von Aligistra herab geholt.“
„Meleon! Das hättest du nicht tun dürfen!“
Meleon erwiderte den anklagenden Blick ohne Verlegenheit oder Reue.
„Ganz offen gesagt, interessiert mich nicht mehr, was ich darf oder soll – Dinge ausgenommen, die durch den Treueschwur abgedeckt sind – mir ist es auch vollkommen gleichgültig was die Eshary-Ritter darüber denken. Waren sie da, als man sie benötigte? Nur du, Rochas! Einer von Zwölfen. Der Nobelste zwar, aber eben doch nur einer. Und als ich nach Aligistra kam, wen traf ich dort? Du magst es erraten haben: Infedel, der sich inzwischen Noshars Schüler nennen darf, beziehungsweise nennen durfte. Ich habe diesen Zusatz auf seiner Grabtafel vermerkt, denn das wäre ihm wohl wichtig gewesen.“
Rochas nahm eine unversehrte Schachtel feinster Pralinen aus dem Regal und stopfte die neun Halbkugeln binnen Kurzem in sich hinein.
„So, das ist besser“, sagte er. „Wie wenig du dich doch verändert hast, Meleon. Du kannst selbst gestandene Männer aus der Fassung bringen. Du hast Infedel umgebracht und dir den Stein genommen. Sonst noch etwas?“
„Da wäre eine ganze Menge, doch würde ich es vorziehen, dir später davon erzählen. Fürs Erste muss Isabell einen bequemeren Schlafplatz finden als meine Schulter. Und ich selbst wäre auch dankbar für ein wenig Ruhe.“
Isabell drückte die Nase gegen etwas Weiches und erwachte. Das Weiche war schokoladenfarben und erwies sich als Meleons Untergewand. Die weite Robe lag über dem Stuhl neben ihrem Bett.
Meleon schlief.
So war es also, neben ihm in einem Bett zu liegen wie seine angetraute Frau – was sie aber nicht war – so dass sie überlegte, aufzustehen. Aber seine Wärme war zu angenehm. Er atmete tief und vermittelte ihr das Gefühl, sich für diesen Moment sicher zu wissen. Und das war in ihrem Leben nun nicht mehr selbstverständlich. Nichts war mehr selbstverständlich. Nicht die gewohnten Anstandsregeln, nicht die Gewissheit, dass Menschen und Katzen zweierlei waren und zweierlei bleiben würden, egal, was man mit ihnen anstellte.
Isabell betrachtete Meleons Gesicht. Es wirkte zu jugendlich für einen dunklen Magier. Seine Wimpern waren lang und gebogen, wie es sich so manche Frau vergebens wünschte, seine Wangen so glatt, als müsse er sich nicht rasieren, ja es war überhaupt kein Bartschatten zu entdecken.
Sonderbar.
Vielleicht nahm er auch für solche Belange seine magischen Kräfte in Anspruch.
Isabell betrachtete das cremefarbene Obergewand, das über dem Stuhl hing, und fragte sich, wie sie überhaupt hier ins Haus ihrer Eltern gekommen waren. Sie erinnerte sich nicht, mit Meleon hergelaufen zu sein.
Misstrauisch musterte sie ihr eigenes Zimmer, die Decke mit ihren Stuckverzierungen, den Kleiderschrank, das Tischchen am Fenster…
Durfte man sich darauf verlassen, dass die Dinge so bleiben würden, wie man sie kannte? Wenn sich Menschen in Katzen verwandeln konnten, dann mochte demnächst selbst ein Tisch herumlaufen und ein harmloser Parfümzerstäuber Feuer speien. Sie lachte bei dem Gedanken und Meleon schlug die Augen auf.
„So heiter?“, fragte er.
„Heiterkeit ist es wohl nicht“, sagte Isabell. „Eher der Versuch, dem Wahnsinn zu widerstehen.“
„Wahnsinn?“, sagte er, wie um das Wort abzuwägen. „Wahnsinn ist es, zu glauben, du wüsstest, wie die Welt beschaffen ist.“ Er rollte so überraschend herum, dass sie erschrak. Seine dunklen Augen waren ganz nah.
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