Meleons magische Schokoladen
kreisten, den unerschlossenen Wäldern und den Herden weißer und zimtfarbener Einhörner, die nicht selten die junge Saat abfraßen, weshalb man in der Nähe der Dörfer Wölfe angesiedelt hatte, um sie fernzuhalten.
„Wie außerordentlich faszinierend“, sagte Dr. Fechter. „Ich wünschte, ich könnte das alles mit eigenen Augen sehen.“
Meleon lächelte.
„Das könnte geschehen. Nur würde das erfordern, dass ich einen König dazu bewege, auf seine Krone zu verzichten und sie einer Vierjährigen zu überlassen. Dann könnte man sich mit den Rebellen einigen, Noshar in die Knie zwingen und schließlich zurückkehren. Doch im Augenblick gibt nichts Anlass zu solchen Hoffnungen.“
„Hexerei“, schlug Isabells Vater vor.
„In diesem Fall versagt dieses probate Mittel leider.“ Meleon stand auf. „Ich werde nun gehen, um eine andere Art der Magie zu wirken: In nur sechs Stunden muss ich einen schier ausgeplünderten Laden wieder mit Köstlichkeiten füllen. Isabell sollte nicht geweckt werden, ehe sie ausgeschlafen hat.“
„Sie sind wirklich ein künftiger Schwiegersohn, wie man ihn sich nicht besser wünschen könnte“, sagte Dr. Fechter mit Wärme. „Darf ich mich übrigens erkundigen, wann die Hochzeit stattfinden wird?“
„Oh. Das hängt ebenfalls vom Willen eines Herrschers ab, der sich einiges auf seine Launen zu Gute hält. Ich werde ihm einige vollkommen neue Schokoladenüberraschungen bereiten und hoffen, so die königliche Zustimmung zu einer sofortigen Trauung zu erlangen. Aber vor dieser Herausforderung könnte sich selbst all meine Kunst als zu gering erweisen.“
Isabell schlief bis gegen elf Uhr des folgenden Vormittags.
Der Blick auf die Uhr erschreckte sie. Noch nie hatte sie sich in solcher Eile fertig gemacht. Es dauerte keine Stunde, da stürmte sie durch die Ladentür und erwartete, ein wildes Durcheinander vorzufinden, doch nur drei ältere Damen standen an der Theke und schwätzten in aller Gemütlichkeit. Was am Vorabend gefehlt hatte, war ausnahmslos aufgefüllt. Die Glasscheiben blitzten in der Sonne, der Fußboden war makellos gewischt.
Isabell grüßte, um Haltung bemüht, ging ihren Hut weglegen und stellte fest, dass auch die Küche mustergültig aufgeräumt aussah.
Ihr stiegen Tränen in die Augen.
Meleon ließ sie also doch nicht im Stich.
Als sie nach vorne kam, hatten sich die drei Damen verabschiedet und das Geschäft war leer.
„Warum ist es so ruhig?“, fragte sie atemlos.
„Weil ich es so will“, erwiderte Meleon. „Und nun frühstücken wir.“
Er ging nach hinten, setzte eine Pfanne auf den Herd, machte Spiegeleier mit geröstetem Schwarzbrot, kochte Kaffee und auf ein Fingerschnippen hin deckte sich der Tisch.
„Aber wenn jemand kommt…“, begann Isabell.
„Es kommt niemand.“
Anfangs konnte sie die Mahlzeit nicht genießen und lauschte immer zur Ladentür hin, dann fiel die Unruhe von ihr ab. Der Kaffee war wunderbar, das Schwarzbrot würzig und knusprig, das Eigelb cremig. Was konnte sich ein Mensch denn überhaupt mehr wünschen? Wollte sie tatsächlich Geld anhäufen? Oder weshalb trieb sie sich selbst so sehr an?
Als könne er ihre Gedanken lesen, sagte Meleon: „Du strebst zu sehr danach, es anderen recht zu machen. Wir wollen alle gefallen und daran ist auch nichts auszusetzen. Aber oft irren wir uns, wenn wir glauben, wir würden umso mehr Wohlwollen empfangen, je härter wir arbeiten.“
„Wofür empfangen wir also Wohlwollen?“, fragte Isabell. „Für besondere Leistungen? Für immer bessere und atemberaubendere Kreationen?“
Meleon schüttelte den Kopf.
„Damit ziehen wir nur Menschen heran, die fordernd und mäkelig sind. Wohlwollen erhalten wir für die Liebe, die in dem steckt, was wir erschaffen. Unsere Schokoladen sind Liebe. Liebe, die nicht urteilt, nicht sondert, sondern allen gibt, ungeachtet ihrer Persönlichkeit.“
Isabell kämpfte ihre Rührung nieder.
„Und das sagt ein dunkler Magier?“
Meleon nickte.
„Das sagt ein dunkler Magier. Du kennst die Liebe, die in meine Schokoladen gegossen ist. Willst du auch meinen Hass kennen lernen? Meine Wut?“
„In Schokolade? Das kann ich mir nicht vorstellen.“
Er lächelte und sein Lächeln hatte etwas, das Isabell nicht gefiel.
„Nein. Das eben ist meine Schokoladenseite. Die andere Seite ist Feuersbrunst und bittere Asche. Sie ist scharf geschliffen wie die Klinge eines Rasiermessers. Oder sagen wir: Sie ist unbekömmlich.“
„Ich mag es
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