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Melina und das Geheimnis aus Stein

Melina und das Geheimnis aus Stein

Titel: Melina und das Geheimnis aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Röder
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legen“, schlägt Paps vor. Das hört sich harmlos an. Doch das Zimmer neben meinem ist das von Jonas. „Es ist ja nur für eine Nacht“, fügt Paps unsicher hinzu und behält Mamas Gesicht im Blick. Als hätte er Angst, dass sie gleich mit einem Teller nach ihm wirft oder in Tränen ausbricht.
    Aber Mama tut nichts von beidem. Sie nickt zögernd. „Du kannst schon mal mit Melina die Matratze vom Dachboden holen“, sagt sie zu Paps.

Flügel sind blöd
    Ich husche über den Flur und öffne behutsam die Tür zum Zimmer meines toten Bruders. Es ist schön, dass hier heute jemand übernachtet, der lebendig ist … Oder zumindest so was ähnliches.
    Die Matratze ist mit frischer Bettwäsche bezogen, aber leer. „Wo ist er hin?!“ Panisch blicke ich mich um. Schließlich entdecke ich Will oben auf dem Kleiderschrank. Er baumelt mit den Beinen und schaut aus dem Fenster auf unseren mondbeschienenen Garten.
    „Wahrscheinlich erinnert ihn das an seinen Sockel auf dem Friedhof“, flüstert Pippa.
    Ich strecke meine Hand aus, um Wills Fuß zu berühren und ihn versteinern zu lassen. Aber da zieht er schnell das Bein hoch und schüttelt den Kopf. „Bitte nicht.“
    „Warum nicht?“, frage ich erstaunt.
    Will schlingt die Arme um die Knie, als wäre ihm kalt. „Es ist anders geworden“, erklärt er stockend. „Früher, da war ich einfach weg. Ich war ein Stein, habe nichts gedacht, nichts gefühlt. Doch jetzt … jetzt spüre ich es, wenn ein Käfer auf mir landet. Ich höre die Menschen reden, die an mir vorbeigehen. Aber ich kann mich nicht bewegen, ich kann nicht antworten. Es fühlt sich an, als wäre ich wieder in den See gegangen. Wie unter Wasser, weit weg von allem.“ Ein Schauer läuft durch seinen Körper.
    Ich muss daran denken, wie ich mich bei dem Spiel auf Jessies Geburtstagsfeier gefühlt habe. Wie die anderen Kinder um mich herum spielten und ich nicht mitmachen konnte. Wie sehr ich mir gewünscht habe, dass mich jemand erlöst.
    „Das klingt wie ein Albtraum“, flüstere ich und kauere mich auf die Matratze. „Ich hab auch Albträume. Ich glaube, alle Menschen haben die manchmal.“
    Vielleicht wäre es für Will besser gewesen, wenn er einfach ein Stein geblieben wäre.
    „Warum willst du eigentlich unbedingt ein Mensch sein?“, frage ich.
    Ich muss an tote kleine Brüder denken, an Mütter mit der Traurigkeitskrankheit, an nervige Maiks in der Schule, das Gefühl, in Sport als Letzte gewählt zu werden …
    „Echt, so toll ist es nicht“, versichere ich Will. Er kommt vom Schrank runter und setzt sich neben mich. So können wir besser miteinander reden.
    „Manchmal tut’s auch weh“, füge ich nach einer Pause hinzu. „Hast du ja heute beim Gemüseschneiden gemerkt.“
    „Aber wenn du Glück hast, klebt jemand ein Pflaster darauf“, sagt Will nach kurzem Nachdenken und zeigt mir seinen Finger. „Außerdem gibt es Nudeln mit dem ganzen Garten, Geschenke, Briefkästen!“, zählt er begeistert auf. „Und Fußballspielen mit Freunden – nur diese blöden Dinger stören!“
    „Du meinst deine Flügel?“, frage ich.
    Er nickt, dann legt er den Mantel ab und breitet die Flügel aus. Sie sind so groß, dass sie fast gegen die Zimmerwände stoßen.
    „Ich bin der Einzige, der welche hat“, stellt Will fest. „Ganz am Anfang, als du mich geweckt hast, da hätte ich vielleicht mit ihnen fliegen können.“ Sachte bewegt er die Flügel. Im Mondlicht schimmern sie silbern, aber ich weiß, dass die Federn inzwischen graubraun sind wie altes Laub.
    „Aber jetzt … Sie sind zu nichts zu gebrauchen!“, beschwert sich Will und schaut mich verbittert an. „Immer muss ich sie unter dem Mantel verstecken. Wegen denen muss ich auf dem Friedhof bleiben.“ Seine Flügel bewegen sich jetzt schneller. Sie schlagen auf und ab wie die Schwingen eines gefangenen Vogels, der sich befreien will.
    „Ich will ein Zuhause haben! Ich will so leben, wie ich mich fühle – als Mensch!“, ruft Will.
    Der Luftzug der Flügel rauscht mir in den Ohren und wird dann schwächer.
    „Mit den blöden Dingern geht das nicht“, stellt Will fest. „Die müssen weg!“ Entschlossen fängt er an, Federn aus seinen Schwingen zu reißen.
    Im ersten Augenblick können Pippa und ich nur fassungslos zusehen. Dann schreien wir: „Will, hör auf, du tust dir weh! Hör auf damit!“ Ich bekomme seine Hände zu fassen und halte sie fest.
    Auf der Treppe sind Schritte zu hören. „Alles in Ordnung bei euch?“, dringt

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