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Melissas Welt (Mira und Melissa) (German Edition)

Melissas Welt (Mira und Melissa) (German Edition)

Titel: Melissas Welt (Mira und Melissa) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Lüer
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Die Beschäftigung mit der Honorararbeit erinnerte mich daran, dass ich neulich begonnen hatte, selber ein Märchen zu schreiben. Heute war ich entspannt genug, mit dem Schreiben weiterzumachen. Ich zog mich dafür in meinen geliebten Korbsessel zurück und blätterte im Notizblock. Richtig, der Fürst. Da hatte ich aufgehört. Der Fürst hüllte sich in Schweigen. Ich entspannte mich und machte den Kopf frei vom Alltag und spielte im Geist mit Bildern und Worten. Dann fing ich an zu schreiben:
    Kanzler, Magier und Hauptmann verneigten sich vor ihrem Herrscher und verließen rückwärtsgehend den Raum. „Was sollen wir nur tun“, sprach der Kanzler und rang verzweifelt die Hände. Der Hofmagier, ein spindeldürrer alter Mann mit buschigen, eisengrauen Augenbrauen und schmalen Lippen, machte ein grimmiges Gesicht. „Ich weiß, was zu tun ist“, sprach er leise. „Hauptmann, dafür brauche ich Eure Hilfe.“ „Was habt Ihr vor, Magier?“ fragten Kanzler und Hauptmann wie aus einem Munde. Doch der Alte schwieg und lächelte auf so finstere Weise, dass dem Kanzler angst und bange wurde. Der Hauptmann der Wache aber war ein mutigerer Mann. Mit ruhiger Stimme sagte er: „Was Ihr auch vorhabt, Magier, wenn es dem Volke zum Wohle gereicht, bin ich Euer Mann. Befehlt, und ich werde gehorchen.“
    Und so kam es, dass am nächsten Morgen, noch vor Sonnenaufgang, an der Spitze eines bis an die Zähne bewaffneten Reitertrupps, der alte Magier und der junge Hauptmann einträchtig nebeneinander ritten. Der Magier auf einem nachtschwarzen Rappen, der Hauptmann auf einem großen Braunen. Drei Tage und drei Nächte ritten sie bergauf und bergab, überquerten den großen Fluss und schlugen sich durch wilden Wald, bis sie ins Land der Sonnenprinzessin gelangten.
    Als sie sich dem Schloss näherten, auf dessen Zinnen fröhlich die gelben und himmelblauen Fahnen im Wind flatterten und knatterten, warf der Hofmagier einen Verberge-Zauber über die kleine Streitmacht, so dass sie ungesehen und unbehelligt bis an die Mauern des Schlosses gelangten. Das Burgtor stand weit offen, die Zugbrücke war herabgelassen. Der Hauptmann wählte nun leise die drei geschicktesten Soldaten aus, um die Prinzessin zu rauben. Denn das war die Absicht des bösen Zauberers. Der alte Hagestolz übernahm die Führung und leise, leise schlichen sie über den Burghof in das Schloss und huschten durch die verwinkelten Gänge. Es dauerte nicht lang, da hatten sie das Gemach der kleinen Prinzessin gefunden. Eine Sonne war kunstvoll in das Holz der Tür geschnitzt. Sie stahlen das Kind bei Beginn der Morgendämmerung aus seinem Bettchen heraus. Der Magier hatte sie in einen Zauberschlaf fallen lassen, und so merkte sie nicht, was ihr Furchtbares zugestoßen war. Seine schwarzmagische Kraft war nun fast erschöpft, und sie waren erleichtert, als sie wieder auf ihren Pferden saßen und das Burgareal verließen. Der Hauptmann hielt das schlafende Kind im Arm und hüllte es fürsorglich in eine warme Decke.
    Als wenige Stunden später das Verschwinden der Prinzessin bemerkt wurde, war der Reitertrupp längst am Fuße der schroffen Westberge angelangt. Der Hofmagier befahl eine kurze Rast, damit er mit letzter magischer Kraft einen weiteren Zauber wirken konnte: einen Verwirr-Zauber, damit niemand den Eingang in die Schlucht finden könne, denn dies war der einzige Weg zum Pass, die Westberge zu überqueren. Er legte einen Kreis aus Steinen, in einem archaischen Muster roher Magie, zeichnete Runen darauf und murmelte in uralter Sprache Zauberwörter und Flüche. Kein Angehöriger eines anderen Volkes als das der Kleinländer würde nun den Weg wiederfinden können.
    Unterdessen erhob sich im Schloss der Sonnenprinzessin ein großes Ach und Weh. Das Königspaar und alle Bediensteten suchten und suchten, aber sie fanden das Kind nicht. „Vielleicht ist sie in den Brunnen gefallen?“ „Aber nein, seht doch, er ist abgedeckt.“ „Vielleicht hat sie sich im Stall versteckt um mit ihrem Pony zu spielen?“ „Aber nein, seht doch, alle Pferde sind auf der Weide.“ „Vielleicht ist sie in der Speisekammer um frische Kuchen zu naschen?“ „Aber nein, seht doch, alle Kuchen stehen hier auf dem Tisch.“ Und so ging das den ganzen lieben langen Tag, bis alle erschöpft waren von der Suche. Und alle Frauen im Schloss weinten große Tränen, und alle Männer schworen Rache für den Raub. Denn der letzte Strahl der untergehenden Sonne hatte sein Licht auf einen

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