Melissas Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
behaglich in unseren Betten lagen und das Haus zur Ruhe kam, erzählte Robert mir ausführlicher von der Zeit in der Klinik. Ich verstand jetzt, was ihn mit Sebastian verband, warum sie Seelengefährten und beste Freunde waren.
„ Und du bist dir sicher, dass wir ihm Miri anvertrauen können?“
„ Oh ja, ganz sicher. Er ist seinen Kindern ein guter Vater. Auch seine Frau ist sehr warmherzig. Miri wird sich im nächsten Sommer dort wohlfühlen und viel lernen. Wir werden sie gemeinsam hinbringen. Du sollst die Familie näher kennenlernen, das ist dein gutes Recht. Auch die Alpakafarm ist sehenswert. Er hat da etwas von Wert aufgebaut.“
Robert schwieg eine Weile und streichelte mir übers Haar. Ich ahnte, dass er etwas auf dem Herzen hatte, das ihm schwerfiel zu offenbaren.
„ Weißt du, was für mich damals am Schlimmsten war? Die Zeit, bevor ich in die Klinik kam, meine ich jetzt. Das war der Moment, als ich begriff, dass ich der Geistwelt nicht würdig bin. Ich war jung, und ich bewunderte die Medizinmänner meiner Vorfahren. Ich las alles, was ich über sie finden konnte. Und ich wollte es ihnen gleichtun und griff zu den stärksten Pflanzen, die das Bewusstsein verändern. Aber der Geist der Pflanze war zu machtvoll für mich, verstehst du? Ich war nicht würdig genug, sie zu gebrauchen. Sie war nur für Medizinmänner erlaubt. Ich schaffte es zwar, die Ebene der Geister und Krafttiere zu betreten, doch sie wiesen mich zurück. Danach war ich tagelang krank und geistig verwirrt. In meinem Wahn habe ich einen Mann zusammengeschlagen und ihm bleibenden Schaden zugefügt. Er ist unwiderruflich auf einem Ohr taub. Ich fürchte, sie alle haben mich im Nachhinein für diesen Frevel bestraft, indem sie den Junkie zu Miri schickten, um mir zu zeigen, wie groß ihre Macht ist, und dass nichts unvergessen ist. Alles meine Schuld. Ich bin wie mein Vater immer gesagt hatte: Verantwortungslos, ein Träumer und Feigling.“
Ich wollte ihm vehement widersprechen, aber er legte seinen Zeigefinger auf meine Lippen.
„ Das ist noch nicht alles, was ich dir sagen muss. Es steht eine weitere Lüge zwischen uns. Meine Eltern sind gar nicht bei einem Unfall ums Leben gekommen, wie ich dir vor der Hochzeit sagte. Sie haben mich damals verstoßen, nachdem sie mich in die Klinik brachten. Meine Mutter wollte das wahrscheinlich nicht, aber sie hat sich immer seinen Wünschen und Vorstellungen gefügt und sich klaglos untergeordnet. Vaters letzte Worte zu mir waren, ich sei eine große Enttäuschung für ihn, nicht würdig, seinen Namen zu tragen. Nicht fähig, Verantwortung zu übernehmen und eine Familie zu versorgen oder beruflichen Erfolg zu haben. Er meinte, ich wäre ein Versager durch und durch. Ich habe beide Eltern nie wieder gesehen. Ob sie noch leben oder nicht, keine Ahnung. Du und die Kinder, ihr seid das einzige auf der Welt, was ich noch habe. Die einzigen, die ich von Herzen lieben darf. Ich könnte es nicht ertragen, wenn du mich jemals zurückweisen würdest.“
Robert fing an, leise zu weinen und mein Herz floss über. Ich küsste ihm die Tränen vom Gesicht und flüsterte immer wieder: Ich liebe dich, ich liebe dich so sehr. Als er sich beruhigt hatte, schlummerte er für eine Weile ein. Ich betrachtete sein schönes Gesicht und strich sanft über das rabenschwarze Haar mit den grauen Schläfen. Warum nur war er so von der Kultur der Indianer fasziniert? Es hatte ihm so viel Kummer eingebracht. Die tatsächliche Blutsverwandtschaft war doch so gering. Ich verstand das nicht. Vor allem verstand ich nicht das Verhalten seiner Eltern. Wie herzlos! Die Zweige der alten Linde schlugen gegen die nassen Fenster, denn der Sturm hatte wieder an Kraft gewonnen. Ich musste kurz an die Alpakas denken, die so stoisch jedem Wetter trotzten. Welche Stärke diesen Tieren doch innewohnte! Robert hatte eine gute Wahl getroffen, als er sie in unser Leben holte. Und auch ich hatte eine gute Wahl getroffen, damals, als ich meinem Mann das Ja-Wort gab. Ich schmiegte mein Gesicht in seine warme, große Hand und flüsterte ein von Herzen kommendes, zweites Ja, ich will.
„ Was willst du, Liebes?“, murmelte Robert schlaftrunken.
„ Dich“, war meine schlichte Antwort.
Hannahs Heimkehr
Ich erwachte am nächsten Morgen durch polternde Geräusche und das Lachen unseres Gesellen. Offenbar hatte er mal wieder einen seiner Witze zum Besten gegeben, über die er selber immer am lautesten lachte. Robert war bei ihm und
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