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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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manchen Blick in jene Welt gewähren, aus der ich zu dir kam, und die auch du in gar nicht ferner Zeit bewohnen sollst.‹
    ›Aber werde ich dich dort treffen?‹ fragte Immalee. ›Wie soll ich sonst in Worten denken können?‹
    ›O ja, – natürlich, – wirklich, – ganz gewiß.‹
    ›Aber warum beteuerst du es so oft? Dein einfaches Ja wär’ mir genug gewesen.‹
    ›So will ich es denn einfach sagen: Ja.‹
    ›Nimm diese Rose von mir hin, und laß uns ihren Duft gemeinsam atmen. Das Nämliche sage ich auch zu meinem Gespielen, wenn ich mich übers Wasser beuge, die Rose seines Mundes zu küssen. Doch mein Gespiele zieht die seine zurück, noch eh ich sie gekostet, und so bleibt die meine nur dem Wasser. Willst du sie nicht nehmen?‹ fragte die liebliche Bittstellerin, indem sie sich zu ihm neigte.
    ›Ich will‹, sprach der Fremde. Er nahm sich aus dem Strauß, den Immalee ihm reichte, eine Rose. Doch sie war verwelkt, und hastig barg er sie an seinem Busen.
    ›So wagst du ohne Fahrzeug in der Nacht dich auf das Meer hinaus?‹ rief Immalee.
    ›Wir sehen uns gewiß wieder‹, sprach der Fremde. ›Wir sehen uns wieder in der Welt des Leidens. ‹
    ›Ich danke dir – ich danke dir‹, rief das Mädchen, während der Fremde auf die Brandung zuschritt und im Gischt untertauchte.
    ›Wir sehen uns wieder‹, war sein letztes Wort. Und zweimal sah er im Gehen zurück auf jene Schöne, die ihm einsam nachsah. Ein echtes Fühlen bebte ihm durchs Herz, – doch riß die welke Rose er vom Busen und rief dem Engel, der ihm lächelnd winkte, zum letzten Male zu: ›Wir sehn uns wieder!‹«

SECHZEHNTES KAPITEL
    Piu non ho la dolce speranza.
    Didone

     
    »Sieben Morgen und sieben Abende wandelte Immalee am Strand ihres einsamen Eilands auf und nieder, ohne daß der Fremde sich gezeigt hätte. Doch noch tröstete sie sein Versprechen, er werde sie in der Welt des Leidens wiedersehen. Und so sagte sie sich dies Wort nun beständig vor, als wäre es voll der Hoffnung und des Trostes. Auch versuchte sie während dieser Zeit des Wartens, sich auf ihre bevorstehende Einführung in jene verheißene Leidenswelt vorzubereiten, und es wäre in der Tat höchst reizvoll gewesen, all den ernsthaften Versuchen beiwohnen zu können, mit denen dies Kind der Natur durch Rückschlüsse auf die Welt sowohl der Pflanzen als auch der Tiere zu irgendeinem Bild des unverständlichen Menschenschicksals gelangen wollte.
    Doch Immalee füllte diese Frist des Wartens nicht nur mit Meditieren aus. Eine neue Begierde war in ihr erwacht. Und in den Zwischenpausen ihres Nachdenkens war sie voll Eifer hinter den farbigsten und aufs phantasiereichste gewundenen Meermuscheln her, um sich Arme und Haar damit zu schmücken.
    Diesem Geschäft oblag sie auch am achten Morgen, als sie unversehens ihres Fremdlings gewahr wurde, wie er vom Strand her sich ihr nahte. Und die arglos-ungezügelte Freude, mit welcher sie ihm entgegensprang, entfachte in seinem Innern sekundenlang jenes düstere Glosen ungewollter Reue, so ihn den Schritt verhalten und den Blick abwenden ließ, was Immalees stets wache Empfindsamkeit sofort erspürte. So verhielt auch sie ihren Schritt und stand, erbebend in all ihrer lieblichen, bittenden Schüchternheit, als flehte sie um Vergebung für eine ungewollte Kränkung und bäte eben dadurch, daß sie sich das Näherkommen versagte, um die Erlaubnis, sich nähern zu dürfen, während in ihren Augen sich schon die Tränen sammelten, um bei des Gastes erster, abweisender Geste als ein unaufhaltsamer Strom hervorzustürzen.
    Dieser Anblick ›schärfte unverweilt ihm die stumpfgewordenen Waffen‹. Lernt sie das Leid nicht, wird sie mir nimmer zum Schüler taugen, dachte er bei sich. ›Was muß ich sehn – du weinst?‹ so sprach er laut. Mit diesen Worten trat er auf sie zu.
    ›O ja, ich weine‹, sagte Immalee und lächelte wie ein Frühlingsmorgen unter ihren Tränen. ›Es ist ja an dir, mich das Leid zu lehren, und so werde ich schon bald für jene Welt taugen, aus welcher du kommst, – allein, es ist noch schöner, um deinetwillen zu weinen, als zu lächeln über tausend Rosen.‹
    ›So komm mit mir zu jenem Hügel dort‹, befahl der Fremde, barsch der Zärtlichkeit gebietend, die ihn wider Willen rührte. ›Ich kam, um dir in jene Welt des Denkens, darin zu wohnen du begierig bist, ein wenig Einblick zu gewähren. Von jenem Hügel, wo die Palmen wachsen, sollst einen Teil des Ganzen du erschauen.‹
    ›Aber ich

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