Melmoth der Wanderer
indem sie zu Pater José aufblickte, welcher ihr diese letzte Zeile diktiert hatte ›Don Francisco wird aber diese Stelle sofort als nicht von meiner Hand stammend erkennen – er hat sie schon einmal in einer Eurer Predigten vernommen. So laßt mich noch den außergewöhnlichen Beweis von dem Wahnsinn meiner Tochter hinzusetzen, welchen sie auf jenem Ball geliefert.‹
›Setzt hinzu oder nehmt hinweg, fügt zusammen oder werft durcheinander, – verfahrt in Gottes Namen ganz nach Eurem Willen!‹ versetzte der Angeredete, erbost ob der Überfülle an Streichungen und Zusätzen, welche die Zeilen des von ihm diktierten Textes bereits verunzierten ›Im Stilistischen mag ich ja irgendwie auf meine Überlegenheit pochen können, in dem Gekrakel aber kann sich kein Huhn in ganz Spanien, und scharrte es auf dessen stattlichstem Komposthaufen herum, mit Euch messen! Wohlan denn, im Namen aller Heiligen! Und wenn es dem Himmel gefällt, Eurem Gemahl auch einen Schriftdeuter beizugeben, so dürfen wir Hoffnung haben, von Don Francisco mit dem nächsten Post-Engel zu hören, denn ein Brief wie dieser da ist auf Erden wohl noch niemals geschrieben worden!‹
Unter dergleichen Zuspruch und Beifall fuhr Donna Clara darin fort, weitere Irrtümer und Phantastereien ihrer Tochter zu Papier zu bringen, Phantastereien, die ja einem Geist wie dem unsrer Schreiberin, umschnürt, zurückgeblieben und mißbildet durch die Macht der Gewohnheit seit der ersten Stunde seiner Bewußtwerdung, recht wohl als die Irrwege des Wahnsinns erscheinen mochten. So führte Donna Clara unter anderen Beweisen auch Isidoras erste Einführung in ein christkatholisches Gotteshaus an, in deren Verlauf – es war in der Karfreitagnacht –, nachdem man die Lichter ausgelöscht hat, das miserere in tiefster Finsternis angestimmt wird, wobei die Büßer sich der Selbstgeißelung hingeben, und von allen Seiten statt der Gebete ein gräßliches Gestöhn und Gewimmer erschallt, als würde, nur ohne dessen Opferfeuer, erneut dem Moloch gehuldigt, – in deren Verlauf also Isidora, ob solcher Laute und der sie umgebenden Finsternis von Entsetzen erfüllt, gefragt, was man denn hier im Begriffe sei, zu tun? – ›Gott die Ehre geben‹, war ihrer Mutter Antwort gewesen.
Nach Ablauf der Fastenzeit war Isidora auf eine glänzende Assemblée mitgenommen worden, woselbst der feurige Fandango gefolgt ward von den sanfteren Weisen der Seguedilla, und das Klappern der Kastagnetten sowie der Klang der Gitarren abwechselnd den Takt angaben zu anmutigen, ekstatischbeschwingten Tanzschritten der Jugend und zu der silberhellen, in den amoureusesten Tönen schwelgenden Stimme der Schönheit. Voll des Entzückens ob all des Gesehenen und Gehörten – ob all des Lächelns, das da auf den wohlgebildeten Zügen der Anwesenden so funkelnd erstrahlte wie das Licht des Mondes auf den gekräuselten Wassern eines Bächleins –, hatte Isidora begierig gefragt: ›Und diese da – geben sie Gott denn nicht die Ehre?‹
›Fort, nur fort von hier, meine Tochter!‹ hatte Donna Clara, die diese Frage zufällig mitangehört, ausgerufen. ›Dies ist ein eitler und sündhafter Zeitvertreib! – Eine Erfindung des Teufels, um die törichten Jungfrauen hinters Licht zu führen! – Verabscheuenswürdig in den Augen des Himmels und seiner Heiligen – und verabscheut und zurückgewiesen von allen wahren Gläubigen.‹
›So muß es denn zwei Götter geben‹, hatte Isidora aufseufzend gesprochen ›den Gott des Lächelns und der Freude und den Gott der Klagen und des Bluts. Könnte ich doch dem ersteren dienen!‹
›Ich will schon das meine dazu beitragen, daß du dem letzteren dienen wirst, wie heidnisch und weltlich gesinnt du immer sein magst!‹ hatte Donna Clara versetzt, dieweil sie ihre Tochter eilends aus der Gesellschaft hinweggezerrt, aufs tiefste entrüstet ob des Skandals, welchen deren Worte hätten hervorrufen können. – Solche und ähnliche Begebnisse vermerkte die schmerzgebeugte Donna Clara in ihrer Epistel, die, sobald sie durch den Pater José nach Gebühr gefaltet und gesiegelt worden (dieweil er sich bei der Kutte, die er auf seinem Leibe trug, verschwor, er würde lieber zwanzig Seiten der Fastengebete durchlesen als noch ein einziges Mal diesen Brief), unverzüglich an Don Francisco abgesandt wurde.
Die Gewohnheiten und Handlungen des letzteren waren gleich denen seines Volkes so bedachtsam und zögernd, seine Abneigung gegen das Briefeschreiben
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