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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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Nacht.«

DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
    So er dir keine Antwort gibt,
    Geb ich ein Zeichen dir,
    Das keinem, der da lebt und liebt,
    Bekannt denn dir und mir –
    Seid denn vermählet
    Shakespeare

     
    »Den ganzen nächsten Tag verbrachte Donna Clara, für die das Briefschreiben eine rare, schwierige und bedeutende Aufgabe war, über dem Durchlesen und Verbessern der Antwort an ihren Ehegemahl.
    Die authentische Abschrift, aus welcher wir unsere Auszüge zu machen die erwünschte Gelegenheit nehmen, hat den folgenden Wortlaut:
    Deine Tochter hängt an der Heiligen Religion wie an den milchenen Brüsten der Mutter. Und sie tut wohl daran in Ansehung des Umstandes, daß der Stammbaum unserer Sippe in das echte Erdreich der Heiligen Katholischen Kirche gepflanzt ward, so daß nunmehr ein jeder Ast in solchem Nährboden aufs beste gedeihen oder aber verdorren muß. Für eine Neophytin (wie Pater José es genannt wissen will) ist sie ein so vielversprechender Sproß, wie man sich sein Erblühen in dem Gehege der Heiligen Kirche nur wünschen mag. Und für eine Heidin ist sie so willfährig, so unterwürfig und von solcher jungfräulichen Lieblichkeit, daß ich, soweit es die Aufführung ihrer Person und die diskrete und tugendsame Einordnung ihres Geistes angeht, hinter keiner christlichen Mutter nachzustehen oder dieselbe zu beneiden habe.
    Eines Dinges freilich, teuerster Gespons meiner Seele, muß ich Dich bitten, eingedenk zu sein, ja, dasselbe wie Deinen Augapfel zu hüten: unsere Tochter ist ein wenig verstört im Geiste. Laß dies aber um Himmels willen nimmermehr vor Don Montilla verlauten, und stammte er gleich in gerader Linie von dem Campeador oder von Gonsalvo di Cordova ab. Ihre Verstörung wird ja auf keine Weise dieser Verheiratung zuwiderlaufen oder dieselbe gar unmöglich machen, – denn wisse, sie bricht nur gelegentlich hervor, und dann zu solchen Zeiten, daß auch das eifersüchtigste Männerauge sie nicht zu erspähen vermöchte, es wäre denn, der Betreffende hätte schon vorher einen diesbezüglichen Wink erhalten. In ihrem Gehirn spuken so seltsame Phantasien herum wie die, daß die Ketzer und die Heiden nicht in Ewigkeit verdammt sein sollten (der Allmächtige und alle Heiligen mögen uns davor bewahren!) – was ja unzweifelhaft dem Wahnsinn entsprungen sein muß –, Phantasien, welche aber ein katholischer Ehegemahl, sollte er je zur Kenntnis derselben gelangen, mit Hilfe der Heiligen Kirche und kraft seiner ehelichen Autorität ihr schon auszutreiben wissen wird. Auf daß Du aber noch besser die Wahrheit dessen erkennen mögest, was ich hier so schmerzvoll zu Papier bringe, rufe ich alle Heiligen und den Pater José (der mich keine Lüge niederschreiben läßt, dieweil er mir ja gewissermaßen die Feder führt) zu meinen Zeugen, daß, etwa vier Tage bevor wir Madrid Valet gesagt, beim Kirchgang und schon auf den Stufen zum Gotteshaus, ich eben im Begriffe war, einem in seinen Umhang gehüllten Bettelweib, welches uns mitleidheischend ein nacktes Kind entgegenstreckte, eine milde Gabe zu spenden, als Deine Tochter, mich am Ärmel zupfend, mir ins Ohr flüsterte: ›Frau Mutter, dies kann nicht das leibliche Kind solchen Weibes sein, dieweil sie ja in Kleidern einhergeht, das Kind aber nackt ist. Wäre sie die Mutter, sie würde ihr Kind einhüllen, nicht aber sich selbst.‹ Dies war freilich nur zu wahr, wie ich später herausfand, denn das elende Weib hatte jenes Kind von dessen noch elenderer Mutter gemietet, und mein Almosen war reichlich genug gewesen, den Mietpreis für jenen Tag zu bezahlen, indes, solcher Vorfall widerlegt nicht den Wahnsinn unserer Tochter, insofern sie ja eine völlige Unkenntnis der Gewohnheiten und Gebräuche unseres Bettelvolkes an den Tag gelegt und in gewisser Weise sogar Zweifel an der Verdienstlichkeit des Almosengebens geäußert, dessen Gottgefälligkeit, wie Du ja nur zu gut weißt, bloß von Ketzern oder Tollhäuslern in Abrede gestellt werden kann. So arge Beweise des Wahnsinns gibt sie Tag für Tag. Dieweil mir aber nichts ferner liegt, als Dich mit allzuviel Tinte zu beschwerden (was der Pater José atramentum genannt wissen will), so möchte ich dem Gesagten nur noch einige wenige Begebenheiten hinzufügen, auf daß dadurch deine schlummernden Fähigkeiten erweckt werden mögen, die da in die Lethargie der Selbstvergessenheit gesunken sind kraft des Analgetikums meiner alles einschläfernden Epistolation.
    ›Hochwürdiger Vater‹, meinte Donna Clara,

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