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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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diese Worte zu Ohren, die da nicht länger hörten. Die eine, kalte Hand noch immer an seinen Arm geklammert, war Isidora als ein hilfloses, ihrer Sinne beraubtes Bündel zu Boden geglitten. Bei solchem Anblick aber zeigte Melmoth mehr Mitgefühl, als man ihm gemeinhin zugetraut hätte. Er befreite die Hingesunkene aus der Verstrickung ihrer Mantelfalten, benetzte ihr die kalten Wangen mit dem Wasser des Flusses und stützte den leblosen Körper jeweils nach jener Richtung, aus der er eines frischen Lufthauches teilhaft werden konnte. So kam Isidora alsbald wieder zu sich, weil ja ihre Ohnmacht mehr die Folge einer Erschöpfung denn der Angst gewesen. Doch versetzte sie bald etwas anderes in Furcht – und nicht nur sie: dies konnte sie gar wohl aus Melmoth’s beschleunigten Schritten und dessen häufigem, ungeduldigem Sich-Umsehen erkennen. Nämlich, ein Geräusch, das beide schon eine Zeitlang wahrgenommen, war nun mit jedem Moment deutlicher zu unterscheiden. Es war der Klang menschlicher Schritte, welche offensichtlich von einem Verfolger herrührten. Näher und näher kam dieser heran, – lauter und lauter ertönten seine Schritte, – und schließlich war er schon mit hinlänglicher Deutlichkeit zu erkennen! – In diesem Moment aber riß Melmoth sich von Isidora los, welche in bebendem Entsetzen alleinblieb, unfähig, auch nur ein einziges Wort hervorzubringen, das ihres Begleiters Bleiben hätte erflehen mögen. Ihr ganzer Körper zitterte so sehr, daß sie vermeinte, er werde sich unverzüglich in seine Bestandteile auflösen, und doch hatte sie das Gefühl, mit den Füßen auf dem Erdboden festgenagelt zu sein.
    Was sich dann ereignete, wußte sie nicht zu sagen. Sie sah in der Dunkelheit bloß, wie die beiden Gestalten handgemein wurden, und glaubte, in dieser schrecklichen Zeitspanne die Stimme eines bejahrten Dienstboten, welcher ihr im elterlichen Hause ganz besonders angehangen, ihren Namen rufen zu hören, zunächst noch im Ton der Ermahnung und der flehentlichen Bitte, der aber alsbald erstickte und atemlose Schreie folgten, welche klangen wie Hilfe! – Hilfe! – zu Hilfe! – Danach erscholl ein Geräusch, als stürzte ein schwerer Körper in das unten dahinplätschernde Gewässer. – Es folgte ein schwerer Fall, die Wogen rauschten auf – vom Berge ertönte ein stöhnendes Echo, ganz so, als ob zwei Mordgesellen sich in mitternächtigem Geraune über ihrer blutigen Untat beratschlagten, – und dann war alles still.
    Isidora faltete die kalten und verkrampften Hände über ihren Augen und verharrte in dieser Stellung, bis eine flüsternde Stimme – es war diejenige von Melmoth – ihr befahl: ›So laß uns weitereilen, o Geliebte!‹
    ›Wohin?‹ fragte Isidora, ohne zu wissen, was sie sagte.
    ›Zu dem zerstörten Kloster, o Geliebte, – zu dem Refugium des Eremiten, wo jener Gottesmann nach seinem Glauben, der auch der deine, uns vermählen soll.‹
    ›Wohin sind jene Schritte denn gekommen, die uns verfolgt haben?‹ fragte Isidora, plötzlich wieder Herrin ihrer Sinne.
    ›Sie werden dich nicht länger mehr verfolgen.‹
    ›Aber ich habe doch eine Gestalt wahrgenommen!‹
    ›So wirst du sie nicht länger mehr erblicken.‹
    ›Ich habe im Fluß einen Fall gehört – einen schweren Fall –, als wär’s ein Leichnam gewesen!‹
    ›Ein Stein war’s, der vom Überhang des Berges ins Wasser stürzte und es schäumen machte. Doch haben ihn die Wellen schon verschlungen und sind so angetan von solchem Bissen, daß sie nur schwerlich von ihm lassen werden.‹
    In stummem Entsetzen taumelte Isidora des Weges, bis Melmoth, auf eine dunkle, unbestimmbare und massige Erhebung deutend, die in der Düsternis solcher Nacht dem phantasievollen Auge gleichermaßen als ein Felsmassiv, als eine Baumgruppe, oder aber als ein mächtiges Gemäuer erscheinen mochte, die folgenden Worte flüsterte: ›Dies ist das alte Kloster, – nahebei steht das Refugium des Eremiten.‹
    Ein schmaler Pfad, der sich rund um das Gebäude zu winden schien, führte die beiden nächtlichen Wanderer zu einer Fassade, die einen geräumigen Gottesacker überblickte, an dessen äußerstem Ende Melmoth Isidora ein nicht näher unterscheidbares Objekt wies, welches er als die Behausung des Eremiten bezeichnete, zu der er sich nunmehr auf schnellstem Wege begeben wollte, um den Einsiedler, der ja auch Priester sei, zu bitten, er möge ihn und Isidora ungesäumt miteinander vermählen.
    ›Darf ich dich nicht begleiten‹,

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