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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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und ihr Kind betrifft? Dieser Mensch, der niemals ein Vater sein –, der niemals ein Kind haben kann –, wie sollte er in einem Falle wie dem unseren den Richter spielen?‹
    ›Du vergißt ganz und gar –, vergißt sogar die Ehrfurcht, welche du einem Diener der Kirche schuldest!‹
    ›Senor‹, so legte der Beichtvater sich jetzt ins Mittel, wobei er seiner Stimme einen sanften Klang verlieh, ›laßt nicht mich die Ursache für ein Zerwürfnis in einer Familie sein, deren Glück und Ehre mir stets am Herzen gelegen, fast ebensosehr wie die Interessen der Heiligen Kirche. Laßt ihn fortfahren in seinen Beleidigungen und die Erinnerung an meinen gekreuzigten HErrn und Heiland soll mir dabei mein Stab und Stecken sein.‹ Dabei schlug er ein Kreuz über sich.
    ›Schurke!‹ schrie ich auf und faßte nach seiner Kutte. ›Du bist mir ein rechter Heuchler und Roßtäuscher!‹ Und ich weiß nicht, welcher Gewalttat ich noch fähig gewesen wäre, hätte mein Vater sich nicht auf mich gestürzt. Meine Mutter verfiel vor Entsetzen in Schreikrämpfe, und danach folgte ein allgemeines Durcheinander, von welchem ich nicht mehr viel weiß als die heuchlerischen Ausrufe des Beichtvaters, der sich den Anschein gab, als wollte er uns auseinanderhalten, wobei er Gott in unser beider Namen anrief.
    Unablässig wiederholte er: ›Senor, tut ihm nichts, ich will jede Demütigung, welche ich erfahre, dem Himmel aufopfern! Ich will mich vor Gott zum Fürsprecher meines Verleumders machen!‹ Danach bekreuzte er sich unter Anrufung der heiligsten Namen, worauf er ausrief: ›Laßt alle Beleidigungen, Verleumdungen und Schläge zu jenen Verdiensten gezählt sein, welche in der Waagschale der himmlischen Gerechtigkeit schon jetzt zu meinen Gunsten und gegen meine Verfehlungen sprechen!‹ Und dann entblödete er sich nicht, seine Anrufung all dieser Heiligen sowie die Reinheit der Unbefleckten Jungfrau, ja sogar das Blut und die Seelenpein Jesu Christi mit aller Niedertracht und Unterwürfigkeit der eigenen Heuchelei zu vermengen. Unterdessen hatte das Zimmer sich mit Helfern gefüllt. Meine Mutter, welche sich noch immer in Schreikrämpfen wand, wurde hinausgeschafft, wogegen mein Vater, der ihr in größter Liebe anhing, durch das Spektakel sowie durch mein wutschäumendes Verhalten sich zu einem Akt der Raserei hinreißen ließ: er griff zum Degen und zog blank.
    Ich schlug ein schallendes Gelächter an, welches ihm, der da auf mich eindrang, das Blut in den Adern erstarren ließ. Dann breitete ich die Arme, bot ihm die schutzlose Brust und rief aus: ›Stoßt zu! – Dies ist des Pfaffentumes letzter Schluß! Zum ersten tritt es die Natur mit Füßen – zum letzten endet es mit Kindesmord! So stoßt doch zu! Gebt dieser Kirche den Triumph, den sie verdient! Vermehrt nur dieses Beichtigers Verdienste! Habt Ihr schon Euren Esau hingegeben, laßt Jacob Euer nächstes Opfer sein!‹
    Mein Vater retirierte sich vor mir, abgeschreckt von der wutverzerrten Miene, welche eine Folge meiner heftigen Gemütsbewegung war, und schleuderte, von ihr bis an den Rand einer Konvulsion gebracht, mir nur das eine Wort entgegen: ›Du Satan!‹ Danach stand er in einiger Entfernung zornbebend mir gegenüber.
    ›Und wer hat mich dazu gemacht? Er , der da meine üblen Leidenschaften allein für seine Zwecke ausgenützt! Der sie gepflegt hat, großgezogen, und nun, da meine Art noch immer Edelmut beweist, mich für verrückt erklärt und mich zum Wahnsinn treibt , um seinen finstren Plan ins Werk zu setzen! Ich seh’ Natur zur Unnatur verkehrt, bloß durch die Künste dieses Kuttenträgers! Verdorben wie er ist, hat er’s vermocht, den Bruder mir fürs Leben einzukerkern! Durch Pfaffenlist ward unsere Geburt zum Fluch für Euch so gut wie für die Mutter! Was haben wir, seit er sich eingeschlichen, schon anderes gehabt in der Familie als Elend, Unbehagen und Zerwürfnis? Habt Ihr nicht eben mit dem eignen Degen das Herz des eignen Sohnes noch bedroht? Wer ist’s gewesen, der da einem Vater die blanke Waffe in die Hand gezwungen, nur weil das Kind für seinen Bruder bittet? War das vielleicht Natur? – Ein Pfaffe war es! Werft diesen Menschen, dessen Gegenwart uns nur das Herz verfinstert, vor die Tür! Sprecht endlich als ein Vater zu dem Sohn, es wird, ich schwör’ es Euch, nicht lange brauchen! Und wenn ich mich vor Euch nicht unterwerfe, dann mögt Ihr mich in Ewigkeit verstoßen!‹
    ›Wenn du wirklich Gehorsam zeigen willst, so gib dafür

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