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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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den ersten Beweis, indem du mir gelobst, mich nimmermehr mit der Erwähnung solchen Gegenstandes zu quälen. Über das Leben deines Bruders ist entschieden, versprich mir, seinen Namen nie mehr auszusprechen, und ich will ...‹
    ›Oh, niemals – nimmermehr‹, so rief ich aus, ›will mein Gewissen ich mit solchem Schwur beschweren! Und einem, der dies vorzuschlagen wagt, dem muß es wohl zu einem Grad verdorrt sein, daß selbst der Himmel es nicht rühren könnte!‹
    Mein Vater hatte nun alle Geduld verloren und befahl den Umstehenden, mich emporzuzerren und gewaltsam hinwegzuführen. Solche Erwähnung der Gewalt, meinem mir eingepflanzten, herrischen Gehaben tief zuwider, übte augenblicks die schlimmste Wirkung auf einen kaum aus dem Fieberwahn erwachten Geist, welcher auch noch durch die letzte Auseinandersetzung über Gebühr angespannt war. Ich fiel in meine Verstörtheit zurück und rief ohne jede Beherrschung: ›Mein Vater, Ihr wißt ja nicht, wie sanft, wie edelmütig und verzeihend dieser Mensch ist, den Ihr so sehr drangsaliert! Ich schulde ihm mein Leben! So fragt doch Eure Diener, ob er nicht Schritt für Schritt, auf der gesamten Reise, mir aufgewartet habe? Ob es nicht er gewesen, der Nahrung wie Arznei mir dargeboten, der mir die Kissen aufgebettet, auf denen ich gelegen?‹
    ›Du redest ja im Fieber!‹ rief mein Vater, da er so wirres Zeug mich sagen hörte, und blickte angstvoll fragend auf die Diener.
    Die aber schworen bebend Stein und Bein, daß außer ihnen keiner Menschenseele erlaubt gewesen, sich seit der Abfahrt aus dem Kloster an mich heranzuwagen, und dies bis zu der Ankunft in Madrid. Doch ward durch solche Rede nur bewirkt, daß auch die Reste der Vernunft mich nun verließen, obwohl man doch die reine Wahrheit sprach. In höchster Wut zieh ich den letzten Sprecher der Falschheit und der Lüge und begann, mit Fäusten auf die Leute einzuschlagen.
    Mein Vater, bestürzt über meine Gewalttätigkeit, schrie plötzlich auf: ›Er ist wahnsinnig!‹
    Der Beichtiger, welcher sich bisher noch still verhalten hatte, nahm diesen Ausruf zum willkommenen Anlaß seiner Zustimmung: ›Er ist wahnsinnig!‹ wiederholte er. Und auch die Dienerschaft, halb aus Schrecken, halb aus Überzeugung, stimmte in den Ruf ein.
    Man stürzte sich auf mich und zerrte mich aus dem Zimmer. Und solche Gewaltanwendung, welche noch stets ebensolche Gewalttätigkeit in mir hervorgerufen, ließ nun all das aus mir hervorbrechen, was mein Vater befürchtet, der Beichtiger aber insgeheim erhofft hatte: meine ganze Aufführung glich nun aufs Haar der eines Knaben, welcher, noch kaum aus dem Fieberwahn erwacht, noch immer seinen Phantasien ausgeliefert ist. In meinem Zimmer riß ich sämtliche Vorhänge von den Wänden, und da war nicht eine Porzellanvase, welche ich meinen Widersachern nicht auf den Köpfen zu Scherben schlug. Sobald sie nach mir griffen, biß ich nach ihren Händen, und als sie sich am Ende gezwungen sahen, mich zu fesseln, zernagte ich die Stricke und sprengte sie schließlich mit einer letzten Gewaltanstrengung. Tatsächlich aber erfüllte ich damit nur des Beichtigers Hoffnungen. Man schloß mich für mehrere Tage in meinem Zimmer ein. Während dieser Zeit gewann ich jene Fähigkeiten wieder, welche uns einzig in der völligen Isolierung zu kommen pflegen: eine unbeugsame Entschlossenheit und eine perfekte Verstellungskunst. Und ich sollte nur zu bald auch die Gelegenheit finden, dergleichen zur Genüge anzuwenden.

     
    Am zwölften Tag meiner Haft zeigte sich ein Diener in der Tür meines Zimmers und gab mir mit einer tiefen Verneigung bekannt, daß, im Fall meine Gesundheit wiederhergestellt wäre, mein Vater mich zu sehen wünsche. Ich erwiderte jene mechanische Verneigung in aller Vollkommenheit und folgte meinem Führer mit den Schritten eines steinernen Gastes. Mein Vater, welcher als Schutz und Schirm den Beichtiger zur Seite hatte, trat auf mich zu und begann mit einer Abruptheit zu sprechen, welche mir nur zu deutlich bewies, wie sehr er sich zum Worte zwingen mußte. Nachdem er einige Redensarten hinsichtlich seiner Freude über meine Genesung heruntergeleiert, sagte er: ›Hast du über den Gegenstand unserer letzten Unterredung nachgedacht?‹
    ›Dazu hatte ich Zeit genug.‹
    ›Und hast du diese Zeit wohl angewendet?‹
    ›Ich hoffe es.‹
    ›Dann wird ja das Ergebnis sowohl den Hoffnungen deiner Familie als auch den Interessen der Kirche entsprechen.‹
    Diese letzten Worte

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