Melodie der Leidenschaft
ignorierte. Nicolaj mochte keine persönlichen Fragen.
„Was soll mich denn quälen?“, entgegnete er. „Ich habe doch alles: schönes Wetter, gutes Essen und jede Nacht die Gesellschaft meiner bildschönen Geliebten. Was könnte ich mir mehr wünschen?“
Geliebte. Wie Ella dieses Wort hasste! Tief getroffen, wandte sie den Blick ab. Doch es stimmte: Sie und ihn verband nur eine unverbindliche Affäre. Und deshalb wollte Nicolaj auch die Geheimnisse nicht preisgeben, die es in seiner Vergangenheit gab.
„Es ist sehr lieb, dass du dir Sorgen um mich machst, aber das ist wirklich nicht nötig.“ Nicolaj bekam Gewissensbisse, als er sah, wie sehr er Ella verletzt hatte. Doch er wollte ihr um keinen Preis verraten, dass ihre Darbietung von „Eine kleine Nachtmusik“ ihn an ein Konzert des Moskauer Staatsorchesters erinnert hatte, in das er vor vielen Jahren mit Irina gegangen war. Damit hatten sie feiern wollen, dass sie ihr erstes Kind erwartete.
Nicolaj wusste noch genau, wie sehr er sich darauf gefreut hatte, Vater zu werden. Wie hatte er nur zulassen können, dass Geld und Karriere ihm wichtiger geworden waren als seine Frau und seine Familie? Als er endlich begriffen hatte, wie viel Irina und Klara ihm bedeuteten, waren sie schon ihre verhängnisvolle Reise in Irinas Heimatdorf angetreten. Er war ihnen zwar nachgereist – aber zu spät eingetroffen, um sie zu retten.
Bewusst verdrängte er die Erinnerungen und fragte wie beiläufig: „Weißt du noch, dass wir heute Abend mit Sergej und Lena Tarasow essen gehen?“
„Ja.“ Ella blickte auf die Uhr. „Ich gehe jetzt wohl besser duschen und mich umziehen“. Sie eilte hinein, bevor sie in Tränen ausbrechen konnte.
Nicolajs russische Freunde waren sehr nett, doch ein Essen zu zweit mit ihm auf der Terrasse wäre ihr lieber gewesen, gefolgt von einem abendlichen Strandspaziergang im Mondschein, bevor er sie ins gemeinsame Bett tragen würde.
Nach ihrer Ankunft in Antibes hatten sie viele Abende zu zweit in der Villa verbracht, doch in letzter Zeit nahm Nicolaj ständig Einladungen an. Ob das bedeutete, dass sie ihm langsam langweilig wurde?
Du wusstest von Anfang an, dass die Affäre nicht ewig dauern würde, ermahnte Ella sich, als sie sich nach dem Duschen die leicht gebräunte Haut mit einer duftenden Lotion einrieb. Ebenso hatte sie gewusst, dass es emotionaler Selbstmord wäre, sich in Nicolaj zu verlieben. Doch er hatte ihren Widerstand beharrlich untergraben. Und nun hatte sie Angst, ihr Herz für immer an ihn zu verlieren.
Als sie sich angezogen hatte, hörte sie plötzlich ein Geräusch. Nicolaj stand im Türrahmen.
„Was meinst du?“, fragte sie und strich über das Kleid.
„Ich meine, dass du fantastisch aussiehst.“ Schon wieder verspürte Nicolaj jenes altbekannte Verlangen. Das trägerlose Kleid aus schwarzer Seide war bestechend schlicht: Das Miederoberteil betonte das Dekolleté, und durch den seitlichen Schlitz konnte man einen Blick auf Ellas schlanke Beine in den hauchdünnen Seidenstrümpfen erhaschen. Mit dem Haarknoten sah sie elegant und begehrenswert aus – die perfekte Geliebte. Heute Abend würde sie so mancher Mann voller Begehren ansehen. Aber sie gehört zu mir, dachte Nicolaj und war erstaunt über seinen heftigen Besitzanspruch. Sie bedeutet mir nichts, redete er sich schnell ein. Ella war nur eine weitere Blondine für ihn, die kurze Zeit Teil seines Lebens war. Weil er inzwischen nicht mehr auf ihre Gesellschaft verzichten wollte – weder im Schlafzimmer noch sonst, hatte Nicolaj wieder mehr Einladungen angenommen, um weniger mit ihr allein zu sein.
„Ich habe ein Geschenk für dich.“ Er klappte ein samtbezogenes Kästchen auf und legte ihre eine Kette um.
„Das … das kann ich nicht annehmen.“ Ella stockte der Atem, als sie im Spiegel die kostbaren Diamanten im goldenen Licht der untergehenden Sonne glitzern sah. „Die muss ja ein Vermögen gekostet haben!“
Nicolaj zuckte die Schultern. „Du hast sie verdient.“ Im Gegensatz zu seinen früheren Geliebten hatte Ella nie erwartet, dass er sie mit Geschenken überhäufte. „Und mir macht es Spaß, dir etwas zu kaufen. Gefällt sie dir?“, fragte er leise, den Mund ganz nah an ihrem Hals, den er zu küssen begann.
„Sie ist wunderschön.“ Was er wohl mit „Du hast sie verdient“ gemeint hatte? Sollte die Kette die Bezahlung für im Schlafzimmer geleistete Dienste sein, zusammen mit den Designerkleidern? Nicolaj war Millionär und
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