Melodie der Sehnsucht (German Edition)
geriet. In den letzten Monaten, das war am Zustand des Ruderbootes deutlich erkennbar, hatte die Insel sicher keinem Liebespaar Zuflucht geboten. Zumindest keinem menschlichen. Schnäbelnde Wasservögel und im Liebesspiel tanzende Libellen gab es zu Hauf. Sabine verlor sich glücklich in der Beobachtung des pulsierenden Lebens im Schilf und meditierte über die Schönheit der Schöpfung. Wenn sie nur öfter die Gelegenheit gehabt hätte, fern von der ständigen Betriebsamkeit des Hofes in ihre Träume abgleiten zu dürfen. Dann hätte sie ihr Leben als nicht halb so unglücklich empfunden.
Während Sabine ihren Gedanken nachhing, trabte ein starkknochiges, gelassenes Pferd über die Zugbrücke der Burg. An seinem Sattel war nicht nur eine blank polierte Rüstung, sondern auch eine nicht minder sorglich gepflegte Laute befestigt. Der Ritter auf seinem Rücken trug nur leichte Rüstung unter der stabilen, abgetragenen Reisekleidung, die aber dennoch Farbenfreude und auserlesenen Geschmack bewies. Unter dem breitkrempigen, mit Federn aufwändig geschmückten Hut schauten braune Augen vergnügt in die Welt, und die goldenen Lichter darin tanzten voller Vorfreude, aber auch ein wenig mit Sorge. Florimond d’Aragis war gekommen, um seiner Dame zu huldigen – nachdem er wochenlang allnächtlich Pläne schmiedete, die Mauern der Burg de Caresse für sie einzureißen. Vor allem musste er jedoch herausfinden, was sie dazu bewogen hatte, ihn nach ihrer letzten Begegnung so plötzlich vom Hof zu weisen. Florimond hielt Sabine nicht für wankelmütig, eher vermutete er Zusammenhänge zwischen Jean Pierres Warnungen und Sabines plötzlicher Panik. Womöglich hatte jemand ihr Zusammensein beobachtet und sie anschließend erpresst.
Florimond verdächtigte François, aber natürlich hatte er keine Beweise. Zudem wäre ein weiterer Aufenthalt auf Caresse gefährlich gewesen, wenn der Sohn des Hauses sie tatsächlich belauerte. Florimond hatte sich also zunächst entfernt, um abzuwarten. Ewig konnte François’ Verbannung vom Hofe der Herzogin nicht dauern. Der Ritter musste irgendwann nach Toulouse zurückkehren, und dann konnte Florimond Sabine gefahrlos aufsuchen. Umso mehr wunderte und erfreute es ihn, als er bei einem Turnier am Hofe des Königs von einer neuen Dame in den Gärten der Herzogin Catherine hörte. Eine Frau, so schön und geheimnisvoll wie die Nächte Aquitaniens, dunkel das Haar, samtblau die Augen und schneeweiß das Antlitz – gefangen im tiefen Ernst eines Sehnens, das der Troubadour, der ihre Geschichte erzählte, natürlich als Liebesschmerz deutete. Nach irgendjemandem musste diese Frau sich verzehren, und der Sänger gab wie üblich der Hoffnung Ausdruck, die Schöne denke allein an ihn. Florimond glaubte natürlich keine Sekunde lang, dieser Stutzer könne Sabines Herz gewonnen haben. Allerdings konnte er auch nicht riskieren, dass dies jemand anderem gelang! Schließlich kannte er den Minnehof der Catherine d’Aquitaine – hier tugendhaft zu bleiben erforderte übermenschliche Anstrengungen.
Florimond hatte deshalb gleich am nächsten Tag bei der Königin um Urlaub gebeten – die Dame war entzückt gewesen, als er die Wiedervereinigung mit der Herrin seines Herzens als Grund angab. Rätselte der Hof doch seit Wochen darum, wie die Dame hieß, deren Zeichen Florimond d’Aragis so stolz an der Lanze trug.
Sabines Namen verriet der Troubadour allerdings auch jetzt nicht, so sehr die Königin in ihn drang.
»Die Dame hat einen sehr eifersüchtigen Ehemann und ich will sie nicht gefährden«, erklärte er, was die Königin weiter begeisterte. Die ständig gelangweilten Damen bei Hofe hatten damit sicher Gesprächsstoff für Wochen. Florimond aber zog aus und lenkte die Schritte seines Pferdes auf kürzestem Weg nach Toulouse. Er konnte die Begegnung mit Sabine kaum abwarten! Zumal er inzwischen auch aus sicheren Quellen wusste, dass François seinen Vater und dessen Gattin nicht an den Hof begleitet hatte.
Aber natürlich konnte er auch hier nicht mit der Tür ins Haus fallen. Er würde zunächst der Herzogin seine Aufwartung machen, und dann ...
Florimond saß ab und sah sich auch schon dem jungen strohblonden Reitknecht mit den lebhaften blauen Augen gegenüber, der Sabine und ihn auf Caresse vor der Entdeckung gerettet hatte. »Meiner Treu!«, freute sich Jean Pierre und griff nach den Zügeln des knochigen Hengstes. »Wenn das nicht der Herr Florimond ist, der edelste Ritter unter den
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