Melodie der Sehnsucht (German Edition)
noch viele Becher Wein leeren musste, bis auch der letzte Zecher das Glas auf sein Wohl erhoben hatte. Sie wusste allerdings, dass der Sänger ihn mit reichlich Wasser verdünnte. Das tat er fast immer, schließlich brauchte er auch zum Schlagen der Laute einen halbwegs klaren Kopf.
Sabine selbst war froh, sich nach dem langen Tag in ihre Räume zurückziehen zu dürfen. Fleurette erwartete sie schon und berichtete aufgeregt, dass sie die Kämpfe gemeinsam mit Jean Pierre vom Rand des Turnierplatzes her verfolgt hatte.
»Wie schön er ist, Euer Ritter!«, begeisterte sie sich. »Und denkt Euch, er hat Jeannot gebeten, ihm während der Kämpfe als Knappe zu dienen! Habt Ihr gesehen, wie seine Rüstung glänzte? Das war Jean Pierre – er wird auch heute nacht daran arbeiten, dann sieht sie morgen wieder aus wie neu. Schade nur, dass er kein wirklich schönes Pferd hat. Er wäre der schönste Ritter auf dem Platz.«
»Er ist der schönste Ritter auf dem Platz!«, bemerkte Sabine fast etwas beleidigt. »Das hängt doch wohl nicht vom Pferd ab.«
»Das Pferd kann das Turnier entscheiden«, meinte Fleurette wichtig und wiederholte damit die Worte der Herzogin. Sabine musste trotz ihrer Sorge lächeln. Fleurettes Stimme klang so wissend, als bewerte die kleine Zofe schon Zeit ihres Lebens die Begegnungen von Rittern im Tjost. Dabei hatte die gläubige Katharerin vor dem Aufenthalt bei Hofe nie einen Turnierkämpfer reiten sehen.
Fleurette half ihrer Herrin aus den Festkleidern und löste die komplizierte Flechtfrisur, zu der sie ihr Haar heute zusammengefasst hatte. Sorgfältig ordnete sie die goldenen Haarnadeln in die dafür bestimmten Kästchen. Auch ein Geschenk der Herzogin, diesmal anlässlich eines besonders ergreifenden Vortrags ihrer liebsten Vorleserin aus einem Artusroman. Sabines Schmuckkassette, die noch vor wenigen Monaten nur ein paar goldene Kreuze und Fibeln zum Feststecken der Festgewänder enthalten hatte, füllte sich langsam mit einem Vermögen an Ketten, Haarschmuck und Ohrgehängen.
Schließlich schlüpfte Sabine in ein leichtes weißes Seidenhemd, das mit blauen Bändern am Hals geschlossen wurde. Sie wollte eben zu Bett gehen, als es an der Tür klopfte. Eine Zofe Catherine d’Aquitaines knickste unterwürfig.
»Marquise, es tut mir leid, Euch zu stören, aber die Herzogin fühlt sich nicht wohl. Sie bittet Euch und die Marquise de Valles, ihr aufzuwarten. Ihr hättet etwas Wissen um die Heilkunst, sagt sie.«
Sabine nickte und unterdrückte ein Seufzen. Seit sie bei Hofe weilte hatte sie der Herzogin und anderen Hofdamen gelegentlich mit ein paar Tees oder Kräuterpackungen über Unpässlichkeiten hinweg geholfen. Zu den Büchern, die sich im Besitz der Parfaite Henriette befunden hatten, gehörten auch etliche Werke über Medizin, und die junge Sabine hatte sie mit Eifer studiert. Die Wirkung von Pflanzen und Mineralien bei der Heilung von Krankheiten faszinierte sie, zumal viel altes Wissen verloren ging, seit Lesen und Schreiben, Latein und Griechisch praktisch nur noch in Klöstern an Mönche und Geistliche weitergegeben wurde. Selbst die meisten Ärzte an den Höfen der Adligen verstanden sich kaum auf diese Künste, die Bader auf den Märkten der Armen erst recht nicht. Dabei waren manche Gebrechen so leicht zu heilen – während die Kurpfuscher sie mit ihren ständigen Aderlässen nur schlimmer machten. Sabine wusste allerdings, dass sie sich mit der Anwendung ihrer Kenntnisse wieder einmal auf dünnes Eis begab. Wie leicht konnte sie als Hexe denunziert werden, wenn einer ihrer Patienten verstarb. Das schien bei der Herzogin jedoch kaum zu befürchten zu sein. Sabine glaubte eher, dass der über den ganzen Tag genossene, süße Wein mit dem schweren, abendlichen Essen eine unheilvolle Verbindung eingegangen war. So bat sie Fleurette nur, ihr etwas Brechwurz und Kamillenblüten einzupacken, während sie rasch einen Mantel überwarf und sich bereit machte, der Zofe zu folgen. Die war allerdings schon zu den Gemächern der Marquise de Valles weitergeeilt.
»Soll ich mitkommen?«, bot Fleurette sich an. Sabine schüttelte jedoch den Kopf.
»Es reicht, wenn ich um meinen Schlaf komme. Sicher werden genug Zofen um Madame herumwuseln. Und höchstwahrscheinlich werde ich auch nicht lange brauchen. Vorhin erschien mir die Herzogin nicht ernstlich krank.«
Das war zum Glück auch jetzt nicht der Fall. Die Herzogin klagte nur über Völlegefühl und Übelkeit, Sabines Kräuteraufgüsse
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